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Berlin/München (dpa) - Sie haben nach eigenen Angaben nichts von ihrer Mitgliedschaft gewusst. Neu entdeckte Dokumente scheinen jedoch eindeutig zu belegen, dass die Schriftsteller Martin Walser und Siegfried Lenz sowie der Kabarettist Dieter Hildebrandt in ihrer Jugend in der NSDAP waren. Das Bundesarchiv in Berlin bestätigte einen Bericht des Nachrichtenmagazins „Focus“. Bei Recherchen über die Flakhelfer-Generation seien entsprechende Unterlagen aufgetaucht, erklärte der zuständige Abteilungsleiter des Bundesarchivs, Hans-Dieter Kreikamp. Hildebrandt und Walser sagten dazu dem „Focus“, sie hätten keinen Aufnahmeantrag unterschrieben und auch nichts von einer NSDAP-Mitgliedschaft gewusst. Hoffmann & Campe-Verlagsleiter Günter Berg versicherte am Samstag, dass Gleiches für den schwerkranken Siegfried Lenz gelte.
Kollektive Aufnahme in die Partei?
Der Abteilungsleiter des Bundesarchivs zweifelte indirekt diese Darstellungen an. Kreikamp sagte, für die Aufnahme in die NSDAP seien schriftliche Anträge mit eigenhändiger Unterschrift vorgeschrieben gewesen. Derartige formale Vorschriften seien nach den Erkenntnissen seiner Behörde auch während des Krieges streng eingehalten worden. Auch der Historiker Michael Buddrus vom Institut für Zeitgeschichte kommt laut „Focus“ zu dem Ergebnis, dass eine Aufnahme in die Partei ohne eigene Unterschrift unwahrscheinlich sei. Der „Chefhistoriker“ des ZDF, Guido Knopp, sagte allerdings der „Bild am Sonntag“: „Es gab Fälle der kollektiven Aufnahme in die NSDAP ohne Wissen und ohne Zutun der Betroffenen.“ Ebenso verwies der Historiker Reinhard Rürup auf Pauschalerklärungen von 1944, in denen Standortführer Gruppenanträge ganzer Hitlerjugendeinheiten weitergereicht hätten.
Hildebrandt, der im Februar 1944 als Luftwaffenhelfer in Oberschlesien war, sagte der „Bild am Sonntag“ ähnlich wie zuvor schon in der NDR-Talkshow am Freitagabend: „Meine Mitgliedschaft in der NSDAP war ein Geschenk des Reichsjugendführers Axmann an den Führer zu dessen 55. Geburtstag. Das betraf meinen gesamten Jahrgang. Jedenfalls alle, die ehrwürdig waren. Das waren alle, die wie ich in der damaligen Zeit Luftwaffenhelfer waren. Da stand man automatisch auf der Liste, musste also keinen Antrag stellen, nichts unterschreiben.“
Walser verwies in der „Bild am Sonntag“ auf einen Erlass der Partei-Kanzlei vom 11. Januar 1944. Darin verfügte Reichsleiter Martin Bormann, alle Jahrgänge 1926 und 1927 der Hitler-Jugend sollten eine Erklärung abgeben, welcher Gliederung sie beitreten wollten. Die Namen und Anschriften hätten danach „listenmäßig“ den örtlichen Führern übermittelt werden müssen. „Ich hätte niemals die NSDAP gewählt“, versicherte Walser.
Der „Bild am Sonntag“ liegt eine Kopie der NSDAP-Zentralkartei vor mit dem Namen Martin Walser, dem falschen Geburtsdatum 24.5.27 (Walser wurde am 24. März 1927 geboren), der Mitgliedsnummer 9742136, dem Ausstellungsdatum der Mitgliedskarte 5. April 1944, dem Aufnahmedatum 20. April 1944 (Hitlers Geburtstag) sowie der Ortsgruppe Wasserburg im Gau Schwaben.
Walser sagte im „Focus“: „Ich habe mich nie beworben, an dieser Partei teilzunehmen. Ich habe keinen Antrag gestellt. Stellen Sie sich vor, als 16-Jähriger würde ich in Wasserburg in die NSDAP eintreten. Das ist absurd.“ Erst im vergangenen Jahr hatte Günter Grass mit seiner Autobiografie „Beim Häuten der Zwiebel“ für Aufregung gesorgt, in der er erstmals seine kurzzeitige Zugehörigkeit zur Waffen-SS als Jugendlicher gegen Ende des Zweiten Weltkrieges publik gemacht hatte. Zuvor waren bereits andere prominente Literaten beziehungsweise Literaturwissenschaftler mit der späten Entdeckung ihrer NS-Karteikarten konfrontiert worden wie Walter Jens, Walter Höllerer und Peter Wapnewski.
Höllerer gestand seine Mitgliedschaft ein, der Germanist Wapnewski hielt sie immerhin für möglich, obwohl er nie ein Parteibuch gesehen habe, und Jens hatte angeblich „keine Erinnerungsbilder“ an seine Mitgliedschaft. Günter Grass hatte sich damals gegen den „Hämeton“ der Kritiker in diesen Fällen gewandt: Mit Enthüllungen dieser Art könne man „nicht ein Leben zudecken“.
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