Luther im Bett: Gegenseitige Diffamierungen in Wort und Bild waren Teil der konfessionellen Propaganda . Foto: kr Quelle: Unbekannt

Von Thomas Krazeisen

A m Anfang der epochalen Freiheitsbewegung stand nicht nur in der Welt der kleinen Leute das große Zittern vor dem Ende der Zeiten. Albrecht Dürers beklemmendes Kino der Angst vor dem jüngsten Tag, Trompetenfanfaren und Hufeklappern künden im Stuttgarter Kunstgebäude von der kollektiven Furcht vor den apokalyptischen Reitern. Die Zeit um 1500 markierte eine Epoche des Übergangs, der Krisen und politisch-gesellschaftlichen Umbrüche - aber auch tiefer Frömmigkeit, wie die Ausstellung mit eindrücklichen Beispielen zeitgenössischer kirchlicher Kunst und Liturgie demonstriert.

Im Schatten der glänzenden Fürstenhöfe und aufblühender Städte fristete die große Mehrheit der Bevölkerung auf dem Lande ein Leben in Armut. Die Situation verschärfte sich auch im deutschen Südwesten durch vermehrte Unwetterereignisse und Ernteeinbußen oder -ausfälle im Zuge des Klimawandels der Kleinen Eiszeit. Hinzu kamen herrschaftliche Pressionen. Während Herzog Ulrich von Württemberg (1487-1550) am Stuttgarter Hof prächtig residierte, belastete er seine darbenden Untertanen mit saftigen Steuererhöhungen. Der Protest entlud sich im „Armen Konrad“. Außergewöhnliche zeitgenössische Exponate, gefunden im Kloster Alpirsbach, erinnern an diese Revolte des gemeinen Mannes rund zehn Jahre vor dem großen deutschen Bauernkrieg, darunter ein Wams aus Leinen und ein rahmengenähter Schuh.

Herzog Ulrich steht als wichtigster politischer Protagonist der Frühphase der württembergischen Reformation im Mittelpunkt dieser exzellenten kulturhistorischen Schau, die vom Landesarchiv Baden-Württemberg in Kooperation mit den Staatlichen Schlössern und Gärten präsentiert wird. Dabei kann das Landesarchiv auch als Leihgeber glänzen, vor allem mit einer der drei erhaltenen Originalausfertigungen der päpstlichen Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“, eines Schlüsseldokuments der Reformation.

Ulrichs Regentschaft markierte eine unruhige Phase in der Geschichte des noch jungen Herzogtums Württemberg. Zuerst verlor der als unberechenbar und hitzköpfig geltende Fürst seine angestammte Herrschaft, um sie nach 15-jährigem Exil wiederzuerlangen und das Land als eines der ersten Territorien des Heiligen Römischen Reiches der Reformation zuzuführen. Vom Schwäbischen Bund war der unbotmäßige württembergische Herzog 1519 nach seinem Überfall auf die Reichsstadt Reutlingen vertrieben worden, mit Hilfe des Landgrafen Philipp von Hessen konnte er schließlich 1534 Württemberg zurückerobern.

Von klösterlichen Kollateralschäden zwischen den Fronten zeugt ein Gebetbuch-Eintrag aus dem Dominikanerinnenkloster Weiler bei Esslingen, welches damals unter württembergischer Schirmherrschaft stand. Beim Feldzug des Schwäbischen Bundesheeres gegen den württembergischen Landesherrn wurden offenbar sowohl das Klostergebäude als auch die Kirche von den reichsstädtischen Esslingern niedergebrannt.

In der von Peter Rückert vorzüglich kuratierten Schau tritt Herzog Ulrich als schillernde Herrschergestalt in Erscheinung. Ein Herzog sozusagen mit zwei Gesichtern. Hier der streitbare Landesherr und selbstsüchtige Renaissancefürst, ein Freund höfischer Fest- und Turnierkultur: repräsentiert in einer Prunkrüstung, die von ihrem Besitzer aber womöglich nie getragen wurde. Dort der einstige Tunichtgut im milden Alterslicht: Eine Zeichnung, die nach Ulrichs Tod entstanden ist, zeigt ihn als in Ehren ergrauten Landesvater - eine geradezu mustergültige Verkörperung des Typus des guten, klugen, verständigen Fürsten.

Die historische Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Die Reformation war nicht nur ein Kampf um Glaube, sondern auch um Macht und wurde auf Reichsebene mit den Mitteln der ständischen Politik geführt. Ulrich mochte sich bei seiner Entscheidung für einen evangelischen Staat politische Vorteile versprechen. Dennoch darf man annehmen, dass seine Option zugunsten der neuen Lehre durchaus auch ein Moment aufrichtiger Frömmigkeit enthält. Immerhin war Ulrich nach seiner Vertreibung bei seinen Aufenthalten in der Schweiz nicht nur mit lutherfreundlichen Theologen, sondern auch mit dem radikaleren Zürcher Reformator Huldrych Zwingli in persönlichen Kontakt gekommen.

Ihren sichtbarsten Ausdruck fand die Umsetzung der Reformation in der Neubesetzung der Pfarrstellen und der Abschaffung der Messe. Schon kurz nach Ulrichs Rückkehr nach Württemberg fand in der Stuttgarter Stiftskirche, dem geistlichen Zentrum des Landes, der erste evangelische Predigtgottesdienst statt.

In der Praxis verlief das evangelische Einnorden von Land und Leuten freilich auch in Württemberg nicht so bruchlos wie in Ulrichs Münzumschriften, wo die einstigen Gottesmutter- und Heiligenanrufungen einfach verschwanden. Vor allem bei den Frauenkonventen war der Widerstand - nicht zuletzt aufgrund der fehlenden wirtschaftlichen Perspektive der Nonnen außerhalb des Konvents - teils erheblich. Das Problem wurde von der Regierung nicht selten über Jahrzehnte hinweg bis zum Aussterben der Gemeinschaften einfach „ausgesessen“.

Die Implementierung der Reformation in den großen Mannsklöstern, deren Prälaten im Landtag vertreten waren, war für den Landesherrn schon in politischer und ökonomischer Hinsicht von ungleich größerer Bedeutung. Auch wenn bereits Ulrichs Vorgänger und die während seines Exils in Württemberg herrschenden Habsburger die Finanz- und Wirtschaftskraft der Klöster für ihre Zwecke zu nutzen wussten, wurde die Art und Weise, in der Ulrich auf das Vermögen der Konvente zugriff, sogar von seinen protestantischen Bundesgenossen als besonders rücksichtslos kritisiert. Anders als mancher Fürstenkollege und vor allem auch sein Sohn und Nachfolger Christoph verwandte Ulrich die kirchlichen Güter nur zu einem geringen Teil zweckgebunden, also etwa für die Bereiche Bildung und Soziales; in erster Linie vereinnahmte er sie für staatliche Zwecke. Ulrichs personelle Doppelspitze mit den Theologen Erhard Schnepf und Ambrosius Blarer steht auch für den Kompromiss, den der württembergische Landesherr zwischen der oberdeutsch-schweizerischen und der lutherischen Ausprägung der Reformation suchte. Es war ein Ausgleichsversuch, der die theologischen Differenzen innerhalb des evangelischen Lagers freilich nicht wirklich zu überbrücken vermochte. Prägend für die württembergische Ausgestaltung der Reformation wurde schließlich der lutherische Theologe Johannes Brenz. Der Schwäbisch Haller Reformator, der auch als politischer und juristischer Berater protestantischer Städte und Territorialherrschaften ein vielbeschäftigter Mann war, avancierte unter Herzog Christoph zum kirchlichen Chefstrategen bei der Konsolidierung und Institutionalisierung der Reformation.

Bildung für alle

Der bedeutendste Luther-Mitstreiter ist der in Bretten geborene Humanist Philipp Melanchthon. Der ehemalige Magister an der Universität Tübingen, ein Käpsele nicht nur in alten Sprachen, steht wie kein anderer für die Devisen „Bildung für alle“ beziehungsweise „kein Glaube ohne Bildung“. Das bedeutete für den „Praeceptor Germaniae“: Studenten sollten die Bibel in der Originalsprache lesen können und deshalb Griechisch und Hebräisch lernen. Auf der anderen Seite ermutigte Melanchthon Luther zur Übersetzung der Bibel ins Deutsche und damit zur Umsetzung eines zentralen reformatorischen Anliegens: Jeder sollte das Wort Gottes selbst, ohne kirchliche Interpreten und Autoritäten, lesen und verstehen können. Im Kunstgebäude begegnet einem der hochgelehrte Diplomat auf kirchlichem wie politischem Parkett und Verfasser des Augsburger Bekenntnisses, gewissermaßen der Magna Carta der Lutheraner, bemerkenswert realistisch als feinsinniger Intellektueller im Stile einschlägiger Humanistenporträts.

Auch sein Wittenberger Meister ist in der Galerie der wichtigsten Protagonisten der württembergischen Reformationsepoche, in der auf weltlicher Seite Luthers kaiserlicher Gegenspieler Karl V. und dessen jüngerer Bruder Erzherzog Ferdinand von Österreich, von 1522 bis 1534 habsburgischer Regent in Württemberg, herausragen, mit Porträts aus der Cranach’schen „PR-Agentur“ vertreten: Momentaufnahmen der Geburt eines Medienstars. Faszinierender Kontrapunkt ist ein kleines Tafelbild von Ambrosius Fütter aus der Zeit des Augsburger Reichstags von 1530. Martin Luther erscheint im Profil auf einem Goldgrund: der protestantische Übervater im Stile der katholischen Tradition mit Heiligenschein.

Im Finale ertappt man ihn als Mönch neben einer Frau im Bett; der betrogene Gatte sticht in der Buchillustration auf den Liebhaber ein: eine nachträglich manipulierte Szene aus einem vorreformatorischen Druck. Fake-News und Hassbotschaften, scharfe Polemik und derbe Satire spielten bei der Befeuerung der konfessionellen Propagandamaschinerie bei Altgläubigen wie Anhängern der neuen Lehre eine wichtige Rolle. Der Erfolg der Reformation verdankt sich, auch das arbeitet diese sehr sehenswerte Ausstellung eindrücklich heraus, zu einem nicht unwesentlichen Teil einer gigantischen Medienoffensive.

Die Ausstellung im Stuttgarter Kunstgebäude ist bis zum 19. Januar 2018 zu sehen. Öffnungszeiten: dienstags sowie donnerstags bis sonntags 11 bis 18 Uhr, mittwochs 11 bis 20 Uhr. Parallel werden Ausstellungen zum Thema in den ehemaligen Klöstern Maulbronn, Bebenhausen und Alpirsbach gezeigt - ebenfalls bis zum 19. Januar 2018. Im Thorbecke Verlag sind zwei Begleitbände inklusive einer CD mit „Liedern und Stimmen der Reformation“ erschienen; sie kosten in den Ausstellungen im Paket 50 Euro.

www.reformation-in-wuerttemberg.de