Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Bernard de Billy, französischer Gastdirigent beim Staatsorchester Stuttgart, hat seinen stürmischen Auftritt schon zu Beginn: beim Sprung aufs Podium entgleitet ihm der Dirigentenstab, der Konzertmeister fängt ihn auf und gibt ihn zurück: beiderseits Verneigung vorm leicht amüsierten Publikum. Franz Liszts sinfonische Dichtung „Orpheus“ beginnt dann weniger stürmisch: Hörner und Harfen charakterisieren den mythischen Sänger in pastoralem Glanz, die beiden Harfen umspielen auch das Singen und Sehnen von Oboe und Solovioline, die „milde Gewalt der Kunst“ (Liszt) besänftigt alle Leidenschaften, und als am Ende des Zehn-Minuten-Stücks das Englischhorn die Klage des Orpheus um seine in der Unterwelt verlorene Eurydike anstimmt, verklingt die Musik in zarten Akkorden - ein wohlig harmonischer Auftakt mit Sonja Kierspel als beredter Protagonistin.

Béla Bartóks Bratschenkonzert aus dem Jahr 1945 ist ein Werk ganz anderer Schwerkraft, wenige Monate vor seinem Tod im amerikanischen Exil entstanden. Eigentlich ein Fragment - nur der Solopart ist notiert, mit Hinweisen zur Instrumentation des 1. Satzes - und von Bartóks Schüler Tibor Serly orchestriert, ist das Stück doch von einer starken Aussagekraft. Nils Mönkemeyer, einer der prägenden Viola-Spieler heutzutage, erfüllt das einleitende Rezitativ, in dem die Solo-Bratsche nur vom Pizzikato eines Kontrabasses begleitet wird, mit schwebenden Tönen, das Entwickeln der musikalischen Gedanken gelingt vorzüglich im elegischen Dialog mit dem Orchester, in dem wieder besonders die Holzbläser eine Rolle spielen.

Berlioz dirigierte - und schwärmte

Vor 425 Jahren wurde die Württembergische Hofkapelle gegründet, und ein Werk wie die „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz gehört zu den besonderen Momenten aus der Geschichte des Orchesters. Seine erste Aufführung in Deutschland erlebte das Werk 1842 unter der Leitung des Komponisten in Stuttgart. In seinen Memoiren schwärmte Berlioz von der Hofkapelle als „einem jungen Orchester voller Elan und Begeisterung; die erste Klarinette und die erste Oboe sind hervorragend, die Posaunen sind sehr kraftvoll“, und besonders imponierte Berlioz, dass die Musiker sich auch den rhythmischen Vertracktheiten seiner Sinfonie gewachsen zeigten.

Bernard de Billy und die heutigen Nachfahren der Hofkapelle verhalfen der „Symphonie fantastique“ 175 Jahre nach ihrer ersten Stuttgarter Aufführung zu einer spannenden, die Klangreize differenziert darbietenden Wiedergabe. Besonders im 1. Satz arbeitete Billy die Metamorphosen der „idée fixe“ des romantisch zerrissenen Künstler-Subjekts in seinen „Rêveries et Passions“ farbig heraus. Hinreißend die Walzer-Stretta am Ende von „Un bal“, theatralisch ausgespielt die Einbrüche der Verzweiflung in der pastoralen Idylle der „Szene auf dem Lande“. Nach der von einem einsamen Englischhorn und vier Paukern antizipierten Vision einer Hinrichtung der plakative, mit explosivem Blech exekutierte „Marche au supplice“ und ein mit Dies-irae-Motiv und hallenden Glockenschlägen angereicherter Hexensabbat: Berlioz hätte vermutlich noch größere Freude an diesem Orchester gehabt.

Das Konzert mit dem Staatsorchester wird heute um 19.30 Uhr im Beethovensaal der Liederhalle wiederholt.