Und dann wird‘s immer wilder: Szene aus einer Choreografie von Goyo Montero. Foto: Stuttgarter Ballett Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Stuttgart - Die John-Cranko-Schule verblüfft einfach jedes Jahr aufs Neue. Perfekter als diese Matinee kann man sich eine Schulvorstellung kaum vorstellen: vom ersten bis zum letzten Schritt, von den kleinen Vorschülern bis zu den Absolventen sicher und strahlend einstudiert. Hier sah einfach jeder Sprung, jede Hebung, jede noch so schwierige Drehung locker und natürlich aus, viele Schüler machten noch einmal einen weiteren Fortschritt zum vergangenen Jahr, gingen die entscheidende Stufe von der reinen Technik zur beseelten Tanzkunst.

Das galt für die reine russische Klassik, wo man exakte Linien und eine aus der Musik geborene Übereinstimmung sah (wie viele Kompanien hätte gerne ein solches Corps de ballet!) bis hin zur inneren Spannung der modernen Stücke, alle drei von beachtlichem choreografischen Rang. Goyo Monteros „Alrededor no hay nada“ beginnt wie ein mysteriöser Stummfilm. Fünf Paare tanzen zum Rhythmus spanischer Texte immer wilder. Mit hochkomplizierten Verschlingungen und Hebungen entrückt Stephen Shropshire das Trio „Lamento della Ninfa“ nach Monteverdis gleichnamigem Madrigal in eine ferne, zarte Sehnsucht.

Auf der richtigen Wellenlänge

Marco Goeckes ungewöhnlich sprudelndes „A Spell on You“ bleibt auch in der kürzeren Neufassung eines seiner besten Stücke. Die vor einem Jahr entstandenen „Vier Jahreszeiten“ der Stuttgarter Choreografen Katarzyna Kozielska, Louis Stiens, Fabio Adorisio und Demis Volpi liegen genau auf der richtigen Wellenlänge zwischen klassizistisch und modern, das Vivaldi-Ballett bietet kleinen und großen Schülern hervorragende Gelegenheiten, sich technisch wie expressiv auszuprobieren.

Als Eleven in die „große“ Kompanie übernommen werden nächstes Jahr neben anderen die dramatische, intensive Mizuki Amemiya und Christopher Kunzelmann, der genau wie Alice Pernao mit einem nachdrücklichen, fast rebellischen „Sommer“-Solo herausstach (Louis Stiens ist der einzige, der ein wenig widerborstiger mit seiner Jahreszeit umgeht). Auch in den kommenden Jahren kann sich der designierte Ballettchef Tamas Detrich auf großartige Neuzugänge freuen. Einige von ihnen würde man gern sofort in die Kompanie holen, Navrin Turnbull etwa oder Henrik Erikson, die schon wie fertige, gefestigte Interpreten mit persönlichem Charisma tanzen. In den nächsten Klassen reifen Jüngere wie Vincent Travnicek, Riccardo Ferlito, Ji Soo Park mit ihren schwebenden Armen oder das Ausnahmetalent Gabriel Figueredo heran.

Besser als manche Kompanien

Die abschließenden „Etüden“, von Cranko-Schulleiter Tadeusz Matacz als Neufassung eines alten Stückes über das klassische Schrittvokabular initiiert, bleiben einfach die beste Erfindung, seit es Ballettschulen gibt - gerade erst hat die berühmte Académie Princesse Grace in Monte-Carlo sich die Idee mal ausgeliehen. Auch die Frage, ob das Stuttgarter Ballett wie die Kollegen in Hamburg oder München unbedingt eine zusätzliche Juniorkompanie braucht, wäre hiermit beantwortet: Stuttgart hat diese sensationelle Schule, die seit Jahren Vorstellungen auf die Bühne wuppt, die man in kleinen und großen Theatern als vollwertige Ballettabende zeigen kann; das letzte Ludwigsburg-Gastspiel der Bayerischen Junior Company erreichte in keinem Aspekt diese Spannung und diese Qualität. Natürlich muss bei aller wertvollen Auftrittserfahrung weiter das Lernen im Vordergrund stehen. „Die Schule tanzt so gut wie manche Kompanien. Besser“, staunte der kanadische Kritikerkollege, der ein „Colours“- und ballettgefülltes Wochenende in der Tanzstadt Stuttgart verbringt. Recht hat er.

Die Matinee wird am Sonntag, 16. Juli, wiederholt.