Von Petra Bail

Stuttgart - „Cordhüdli“, Karohemd und „Herrendäschle“ sind sein Markenzeichen. Vor fast einem Vierteljahrhundert erfand der Journalist und Kabarettist Frank-Markus Barwasser die Kunstfigur Erwin Pelzig. Pelzig ist der Mann der Stunde. Er sagt, was er denkt über den Zustand der Nation und der Nato - und das ist selten gemütlich. Er arbeitet auf Hochtouren und das verlangt er auch von seinen Zuschauern. Es ist nicht leicht, dem Grantler im Anzug des Biedermanns, der aus der Perspektive des fränkischen Provinzlers die Seelenlage der Deutschen messerscharf analysiert, fast drei Stunden lang zu folgen. Man fühlt sich am Ende doch etwas erschöpft, aber reich an Erkenntnissen, beispielsweise durch Walt Disneys erfolgreiche Methode des Perspektivwechsels, die richtige Entscheidung zu treffen.

Frank-Markus Barwasser braucht keine aufmerksamkeitsheischenden Kulissen auf der Bühne im großen Saal des Theaterhauses, wo er im Rahmen des Kabarettfestivals sein jüngstes Soloprogramm „Weg von hier“ den knapp 1000 Zuschauern vorstellte. Höchstens seine Stammtischbrüder, der einfach gestrickte Proll Hartmut samt seinem Weizen und den konservativen „Kirchenbankdrücker“ Dr. Göbel, der seinen Trollinger aus dem Römer trinkt. Lässig schlüpft Erwin Pelzig in deren Rollen und lässt das „Trio Infernale“ die Sorgen diskutieren, die in politischen Diskussionen in Deutschland eine große Rolle spielen und die Barwasser durchaus ernst nimmt.

Es ist die Angst nicht nur des kleinen Mannes vor der Globalisierung, vor dem Islam, vor Flüchtlingen, Krieg, Populisten, vor sozialen Netzwerken, Big Data und künstlicher Intelligenz. Er überlegt und fragt nach, auch bei seinem Publikum, das er unter Saallicht zu einzelnen Themen um Handzeichen bittet - etwa wer glaube, dass sich zwischen Donald Trump und Angela Merkel eine Liebesbeziehung entwickeln könnte.

Populistische Verklärungen

Was er sagt kommt so harmlos daher im weichen, fränkischen Dialekt, dem stets etwas Kleinkariertes anhaftet. Dabei steckt so viel Zündstoff im Text, wenn er „dapfer und däglich“ die Tagesschau von vor 25 Jahren im Nischensender guckt und dabei feststellt, dass er mit der Zeit fremdelt. Unter dem Slogan „früher war alles besser“ holt er aus zu einem umfassenden geschichtlichen Abriss, der bis in die Romantik reicht. Damals wurden poetische Gedichte als Ausdruck der Sehnsucht nach der Unendlichkeit geschrieben. Heute laufen Menschen Versprechungen hinterher, auf dass alles so werde wie früher. Doch wer auf Nationalisten wie Geert Wilders oder Marin Le Pen vertraue, setze auch auf Johnnie Walker beim Alkoholentzug.

Barwasser, populär aus Fernseh-Sendungen wie „Neues aus der Anstalt“ und „Pelzig hält sich“, hat sie alle im Blick, die Deutschtümler, die Angstschürer, die Hetzer und fragt nach, woher deren Hass kommt. Wie ein Schnellfeuergewehr haut er seine prägnanten Analysen raus, dass dem Publikum kaum Zeit für Zwischenapplaus bleibt. Das Grundübel sieht er in „einsamen, weißen, heterosexuellen Männern“ in Mecklenburg-Vorpommern, die ohne Perspektive und ohne Frauen sich in ihrer homophoben Art selbst im Weg stünden. Das erklärte Feindbild zieht sich wie ein roter Faden durchs Programm.

Mit diabolischem Vergnügen legt Pelzig den Finger in die Wunde und stellt verblüffende Analogien her. Er entlarvt die Machenschaften unter dem Deckmäntelchen der Rechtstaatlichkeit. Er fragt, was vernünftig ist: eine Rutsche hochklettern und sich ärgern, wenn ein 100-Kilo-Mann entgegenkommt? Vom schlanken Staat zu sprechen und Sozialabbau zu meinen? Vor Senegal das Meer leerzufischen und sich zu wundern, wenn Senegalesen zu uns kommen, um nachzuschauen was mit den Fischen passiert ist? Steuerbetrug, VW- und Audibeschiss, Fifa-Korruption, Franz Beckenbauers ehrenamtliche Tätigkeit, die bei fünf Millionen Euro beginne - das alles erzeuge Wutbürger.

Barwasser geht es um die Kultur, um Gesellschaftsstrukturen, die er in vielen Facetten beleuchtet. Für ihn ein Zeichen der Zeit, wenn hinter allem drei Ausrufezeichen stehen: „das Ausrufezeichen, die Kalaschnikow des kleinen Mannes“ in der „Beleidigungskultur“. Im Schnellwaschgang werden fake news, Lügenpresse und das „Schulz-Wunder“ analysiert, dank dessen die SPD, die mit miesen Umfragewerten vor kurzem noch „wie ein frierendes Lama in der Fußgängerzone“ gestanden habe, nun sogar die Union überholen könnte.

Analoger Migrationshintergrund

„Nicht Ausländer, Roboter werden uns ersetzen“, fürchtet Pelzig am Schluss seines Rundumschlags und nennt den Schuldigen: „Industrie 4.0“, die Hightech-Strategie der Bundesrepublik. Er wettert, zetert und spuckt vor Eifer über 22-jährige digital natives, die mit Facebook und Co. aufgewachsen sind, im Gegensatz zu digital immigrants mit analogem „Migrationshintergrund“. Und dann sind da noch Menschen alter Schule wie der heillos überforderte Dr. Göbel, der sich für alles und jeden verantwortlich fühlt. Da läuft Barwasser zur Hochform auf. Dann ist aber auch gut. Das kann man sich sowieso nicht alles merken.

Das Kabarettfestival dauert bis 27. März.