Szene aus „Handman“ von Edward Clug Foto: Joris-Jan Bos Quelle: Unbekannt

Von Angela Reinhardt

Ludwigsburg -Früher war es andersrum: Das Nederlands Dans Theater sagte, wo’s lang geht. Die Holländer entdeckten moderne Choreografen und fanden die neue Avantgarde, dann bedienten sich Europas Ballettkompanien in Den Haag und machten die Avantgarde zu modernen Klassikern. Heute arbeiten zwei Choreografen regelmäßig fürs NDT, die Ballettintendant Reid Anderson in Stuttgart entdeckt und gefördert hat: Hauschoreograf Marco Goecke und der Slowene Edward Clug, den Anderson 2009 für die erste von bisher drei Uraufführungen engagierte und der seitdem bei den modern orientierten Spitzenkompanien des Kontinents herumgereicht wird. Sein „Handman“ war der Knüller des Abends beim Besuch des NDT 2, der Juniorenkompanie der Niederländer, die am Wochenende im zweimal ausverkauften Ludwigsburger Forum am Schlosspark gastierte.

Zuvor galt es, einen neuen Aufguss der tiefmelancholischen Schwarzweiß-Mysterien zu bestaunen, die Sol Léon und Paul Lightfoot, seit Jiri Kyliáns Rückzug die prägenden Choreografen des NDT, in so unterschiedlichen wie am Ende doch viel zu ähnlichen Varianten für ihre beiden Kompanien kreieren. Das wenige Minuten lange Duo „Schubert“ ging direkt in „Some Other Time“ über, wo zu einer Musikcollage des Postminimalisten Max Richter gewissermaßen hinter die Kulissen des Lebens geschaut wurde. Acht schwarze Stellwände mutierten vom Theatervorhang zu Seitenkulissen, zu Räumen, Schluchten und Verstecken, zauberten einzelne Tänzer hervor und verschluckten sie wie in einer der kryptischen Novellen von Edgar Allan Poe. Lightfoot/Léon lieben es, in ihren Stücken Mauern verschwinden zu lassen, auch um fließt ihre geschmeidige Bewegungssprache stets tiefe Gedanken - und doch würde man auch gerne mal eine neue Überraschung in einem der Werke entdecken.

Auch Johan Inger ist ein langjähriger Gefährte der Kompanie, in der er früher tanzte. Der Schwede lässt in „Out of Breath“ seine Tänzer atemlos um eine Ellipse aus Brettern herumrennen, die wie ein Schiff im Untergrund versinkt. Andere starren fassungslos auf das Todessymbol, stehen resigniert am Rand, springen in das Objekt hinein oder versuchen, zum Schluss erfolgreich, seinen steilen Rand zu bezwingen. Zum Glück war zwischen den beiden dunklen, auch musikalisch eher depressiven Stücken ein wilder Trommelwirbel aus Slowenien platziert: Zu lauten Percussion-Schlägen seines Leib- und-Magen-Komponisten Milko Lazar entzündete Edward Clug ein faszinierendes Spiel mit der Dynamik, das seine Spannung aus dem Kontrast von langsamer Bewegung des Körpers mit schnellen Akzenten seiner Extremitäten bezog. Die Arme sind wichtig, aber in einer anderen, variableren Weise als bei Marco Goecke, pfeilartig zusammengelegt über dem Kopf, unauflösbar zwischen die Beine gewickelt oder mit kurzem Roboterflimmern. Dazu flammt eine Myriade von bildhaften Momentaufnahmen auf - ein Headbangen, wütend gestrandete Ballettschwäne, ein Kreis wie aus fliegenden Fallschirmspringern. In den dezenten Unisex-Kostümen bleibt das alles eher abstrahiert als wirklich konkret, ein wenig lakonisch und trocken im Unterton, aber vibrierend vor Spannung. Wo Lightfoot/Léon und Inger in ihrem Persönlichkeitsstil feststecken, tanzt Clug auch hier neugierig über dessen Grenzen hinaus.

Die Tanzreihe im Forum kündigt für die Spielzeit 2017/18 u.a. Gastspiele des Scapino Ballet Rotterdam, des Hessischen Staatsballetts, des Genfer Ballets mit Jeroen Verbruggens „Nussknacker“, des neuen Richard Siegal/Ballet of Difference aus München und von Bridget Breiner „Romeo und Julia“ aus Gelsenkirchen an.

www.forum.ludwigsburg.de