Sie hat auch mit 69 noch eine atemberaubende Bühnenpräsenz: Dee Dee Bridgewater. Foto: Opus/Frank Eppler - Opus/Frank Eppler

Auch mit ihren 69 Jahren singt Dee Dee Bridgewater noch fantastisch gut: eine würdige Preisträgerin für die deutsche Jazz-Auszeichnung, ein großer Auftakt für die diesjährigen Stuttgarter Jazz Open.

StuttgartBesuchern der jährlichen Verleihung der German Jazz Trophy ist das Ritual wohlbekannt: Durch das Programm führt – eloquent und charmant wie stets – SWR-Moderator Markus Brock. Sparda-Chef Martin Hettich und Jazz-Open-Veranstalter Jürgen Schlensog tragen ihre Elogen vor, um dann eine Kleinplastik des Bildhauers Hajek zu überreichen (und die von der Sparda-Bank ausgelobten 20 000 Euro. Anders als in den 18 Jahren zuvor gestaltet sich jedoch dieses Mal die Laudatio: Nicht Andreas Kolb von der Jazz-Zeitung, sondern die Sängerin Fola Dada verneigt sich bei ihrem sachkundigen und gefühlsbetonten Vortrag vor der „Ikone Dee Dee Bridgewater, die jedem ihrer Songs Seele einhaucht“.

Tatsächlich ist es eine gute Wahl, Dee Dee Bridgewater auszuzeichnen. Manche meinen: eine überfällige. Inzwischen ist die Jazz-Diva 69 Jahre alt. Sie geht völlig gelassen mit ihrem Alter um und sprüht vor Lebensfreude und Sangeslust. Ganz gleich, ob sie vor einem großen Jazzorchester auftritt oder mit ihrem aktuellen Quartett wie nun in der Stuttgarter Spardawelt. Enorm vielseitig, mit einer schönen Stimme und einer unglaublichen Bühnenpräsenz gesegnet, ist Dee Dee Bridgewater aus Tennessee in der Tat eine Galionsfigur des Jazz. Jetzt trägt sie strahlend ein farbenfrohes afrikanisches Kleid, goldenen Ohrschmuck, ein unterm glatt rasierten Schädel. Manchem Theaterfreund mag da Ionescos Stück „Die kahle Sängerin“ in den Sinn kommen. Doch auf dieser Bühne geht es weder absurd zu noch abstrakt, sondern ganz konkret und sehr sinnlich. Die berühmte Vokalistin erzählt geistreiche Anekdoten aus der Welt des Jazz, ohne dabei eigene Enttäuschungen auszulassen.

Makellose warme Stimme

Viele hatten erwartet, sie würde ihr aktuelles Soul-Album „Memphis“ präsentieren. Doch sie stellt ihr altes Projekt „J’ai deux amours“ von 2005 vor, aus der Zeit, als sie in Frankreich gelebt hat. Mit einem kleinen amerikanischen Akzent singt sie französische Chansons wie „La Mer“ von Charles Trenet, „Ne me quitte pas“ von Jacques Brel, „Et maintenant“ von Gilbert Bécaud und natürlich das traurige „Les feuilles mortes“ von Joseph Kosma und Jacques Prévert. Beim Intro lässt sie sich von Marc Berthoumieux begleiten und von dessen melancholisch angehauchten Akkordeonklängen inspirieren. Als mit Bassist Ira Coleman, Perkussionist Minino Garay und E-Gitarrist Louis Winsberg die Band einsteigt, verdichtet sich schlagartig der Klangraum, und wie eine sich öffnende Knospe entfaltet sich die makellose warme Stimme von Dee Dee Bridgewater zu voller Blüte.

Sie bewegt sich bei ihrem oft dramatischen Vortrag tänzerisch wie eine junge Frau, überrascht und begeistert mit einem temperamentvollen Rap, wiegt sich bei einer argentinischen Rumba schwungvoll in den Hüften und bekennt nach dem Titelsong „J’ai deux amours“, dass sie eigentlich nicht zwei, sondern drei Lieben habe: ihr Land, Paris und jetzt auch das enthusiastische Publikum in Stuttgart.