Unterwegs auf der Bühne: Konstantin Buchholz als Vincent und Barbro Viefhaus als Marie. Foto: Sabine Haymann Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Stuttgart - Die größte Schwierigkeit sind die Bilder. Nicht nur im Film, auch die im Kopf. Jens Pesel hat für das Alte Schauspielhaus den Versuch gewagt, ein Roadmovie für die Bühne zu adaptieren. Aber nicht irgendeinen Kinofilm. Nein, die angeblich erfolgreichste deutsche Kinoproduktionen des Jahres 2010, über die sich eine Million Zuschauer bestens amüsiert haben: „Vincent will Meer“. Der Schauspieler David Florian Fitz hat das Drehbuch geschrieben und ist in der Hauptrolle zu sehen, außerdem spielen Kinostars wie Karoline Herfurth und Heino Ferch.

Das erzeugt Bilder und Vergleiche, da kann man sich als Theaterzuschauer nicht frei machen, auch wenn fünf leistungsstarke Schauspieler auf der Problem-Bühne stehen. Ausstatter Siegfried E. Mayer hat ein wildes Sammelsurium vieler im Film vorkommenden Locations geschaffen. Krankenhausbetten symbolisieren das Sanatorium, in dem sich die drei Helden, der an Tourette-Syndrom leidende Vincent, der Zwangsneurotiker Alexander und die magersüchtige Marie treffen. Tische stehen für die Kantine, Stühle sind wahlweise Auto und Aussegnungshalle. Ein Baustellengerüst stellt die Berge dar. In einem Roadmovie sind die Darsteller nun mal viel unterwegs. Dafür hat Jens Pesel einen cleveren Kunstgriff angewandt. Meer, Berge, die Landschaft nach Italien werden als Video auf einen bühnenfüllenden Vorhang projiziert. Das hat Charme und beflügelt die Fantasie. Denn dahin wollen die drei Ausreiser. Nach Italien - offenbar des Sehnsuchtsland von Vincents verstorbener Mutter. Er möchte ihr diesen letzten Wunsch erfüllen, das Meer zu sehen. Mit ihrer Asche in einer Bonbondose macht er sich mit Marie und Alexander im gestohlenen Wagen der Anstalts-Therapeutin Dr. Rose auf den Weg, auch auf der Flucht vor seinem lieblosen Vater, einem widerwärtigen, karrieregeilen Lokalpolitiker.

Witzige Dialoge

Alle drei haben ihr Päcklein zu tragen. Vincent hat Tics, die ihn unkontrolliert zucken und gelegentlich obszön brüllen lassen: „Fick dich, Fotze, Fuck.“ Alexander, der „Bazillenidiot“, schützt sich zwanghaft mit Latexhandschuhen vor ungewollten Kontakten und Marie hungert sich zu Tode. „Ich habe einen Clown im Kopf, der mir ständig zwischen die Synapsen scheißt“, erklärt Vincent Marie sein Verhalten, die ihm Kiffen gegen Tics vorschlägt und erklärt, weshalb das mit dem Essen nicht so leicht ist für sie. Solche Dialoge sind witzig und wichtig, weil sie der Tragik die Schwere nehmen.

Bei aller Problematik will die Geschichte nicht nur sensibilisieren, sondern auch unterhalten. Dieser Teil kommt im Alten Schauspielhaus anfangs zu kurz. Etwa in der Mitte nimmt die Handlung Fahrt auf, um leider am Ende holpernd auszulaufen. Wenn sich Stephanie Theiß als Dr. Rose mit Frank Voß als Vincents Vater, Robert Galler, auf der gemeinsamen Suche nach den Ausreißern eine Verbalschlacht liefert, ist das köstlich. Auch die wortwitzigen Dialoge zwischen Vincent, Marie und Alexander sind wichtig, etwa, wenn Marie zum angespannten Vincent sagt: „Mach dich mal locker.“ Genau das macht die Krankheit aus. Das kann er nicht.

Dabei unterstreicht oft wunderschön der knallige Sound der südafrikanischen Rap-Rave-Band Die Antwoord die Handlung. Dann spürt man das Tempo und den Rhythmus, der diesem bezaubernden Plot zugrunde liegt. Sowohl die Italienfahrer als auch ihre Verfolger müssen die Autofahrten, die ja die Handlung ausmacht, sehr statisch durchführen. Auf Stühlen sitzend, hält einer ein imaginäres Steuer in der Hand - der Rest ist Sprache. Wenn da das schnelle Pingpong der herrlich-ironischen Sätze fehlt, wird’s dröge. Das können auch engagierte Schauspieler nicht völlig auffangen.

Lästige Wiederholungen

Konstantin Buchholz spielt Vincents Tics nicht als mitleidheischende Behinderung aus. Man glaubt seiner Figur diesen Spagat zwischen Galgenhumor und Leiden, bei dem die unkontrollierten Zuckungen kein albernes Kasperletheater eines billigen Gaglieferanten sind. Barbro Viefhaus ist so schlank, dass man ihrer „Bratwurst“-Marie die Magersucht ohne weiteres abnimmt und Florian Rast wirkt als „Sagrotan-Junky“ Alexander, streng gescheitelt, völlig aseptisch. Frank Voß ist so unsympathisch, wie es seine Figur des Provinzpolitikers Galler verlangt und man amüsiert sich mit Stephanie Theiß, die ihre strenge Dr. Rose zu ihm sagen lässt, dass sie hoffe, dass er nie so werden wollte, wie er geworden ist.

Es gibt schöne Episoden im Stück, die leider durch das viele Brüllen, Trommeln und die lästigen Wiederholungen, wie in Serienfilmen, die in der nächsten Folge die letzten fünf Minuten der vorangegangen Folge zeigen, abgepuffert werden.

Bis 22. Juli.. Tel. 0711/2265505