Gute Stimmung: Douglas Lee probt „Naiade“ mit den Tänzern des Stuttgarter Balletts. Foto: Roman Novitzky - Roman Novitzky

Nach zehn Jahren erarbeitet Douglas Lee wieder eine Uraufführung für seine alte Kompanie. In seinem Tanzstück „Naiade“ für das Stuttgarter Ballett befragt er den Mythos Meer in Zeiten des Klimawandels.

StuttgartDouglas Lee hat jetzt einen Eintrag im Pass, der dem Briten in seiner Wahlheimat Berlin das Aufenthaltsrecht sichert. Der Choreograf erzählt bei einem Treffen im Stuttgarter Opernhaus mit so ungläubiger Miene von dieser Auswirkung des Brexits, dass man ihn nach seiner persönlichen Meinung nicht fragen muss. Seine Karriere als Tänzer wie als Choreograf ist schließlich das Ergebnis eines offenen Europas, das die Haltung vieler Menschen seines Alters prägte.

1996 kam Douglas Lee nach dem Abschluss der renommierten Royal Ballet School von London nach Stuttgart. Noch bevor er 2002 zum Ersten Solisten ernannt wurde, hatte er sich bereits als Choreograf bewährt: 1999 gab er sein Debüt bei einem Noverre-Abend – und war später mit Stücken wie „Aubade“ und „Lachrymal“ für das Stuttgarter Ballett so erfolgreich, dass er es 2011 wagte, als Choreograf sein eigenes Ding zu machen. An internationalen Stationen von Atlanta bis Zürich treibt er seither seine Karriere voran, choreografiert für Kompanien quer durch Europa, in Norwegen, Griechenland, Russland.

„Zwei Uraufführungen im Jahr plus ein paar Einstudierungen: Das ist für mich eine gesunde Menge an Arbeit“, sagt Douglas Lee. „Als Tänzer ist man darauf gedrillt, immer zu arbeiten und seinen Körper in Schuss zu halten. Bis heute mag ich es, beschäftigt zu sein, etwas zu produzieren.“ So kam seit „Jane, John, John, Jane“, seinem Debüt als Choreograf, eine beachtliche Liste von mehr als 30 Balletten zusammen – und Erfolgen: „Lifecasting“, 2009 für das New York City Ballet entstanden, wurde vom Magazin „Time Out“ als eines der herausragenden Tanzstücke des Jahres genannt. „Snow was falling“ für das Perm Opera Ballet brachte Lee 2016 einen Golden Mask Award als bester Choreograf.

In Neukölln teilt sich der 42-Jährige die Wohnung mit einem guten Freund, einem Grafiker, und genießt es, dass er zu Hause abschalten kann und Ballett kein abendfüllender Gesprächsstoff ist. Gern würde er mehr in Berlin arbeiten und weniger Zeit in Hotels leben. Doch bis auf wenige Aufträge hat er ausschließlich woanders zu tun. Umso größer ist die Freude, derzeit wieder in Stuttgart arbeiten zu dürfen. „Stuttgart fühlt sich immer noch an wie ein zweites Zuhause, auch wenn sich die Stadt sehr verändert hat“, sagt Lee. Das erste große Stück, das er nach zehn Jahren für seine ehemalige Kompanie erarbeitet, wird auch ein Neuanfang: Lee setzt für „Naiade“, wie seine im Rahmen des Ballettabends „Creations IV-VI“ am 22. Februar gezeigte Uraufführung heißt, auf zehn junge, für ihn unbekannte Tänzer.

Lees Anfänge hier, Stücke wie das spieluhrhafte „Curtain of Hands“, sind weit weg. „Das fühlt sich tatsächlich an wie ein anderes Kapitel. Damals war ich selbst noch Tänzer, das Choreografieren lief nebenbei. Heute empfinde ich meine Stücke als kompletter, mehrschichtiger.“ Sehr komplex sind die Bewegungen, die Lees Ballette prägen, sie durchlaufen als Wellen oder Spiralen den Körper. „Ich mag Dinge, die visuell interessant sind. Simplizität ist auch als Choreograf nicht mein Ding. Vielmehr sprechen mich Tänzer an, die ihren ganzen Körper einsetzen, und ich mag es, wenn sich Schichten überlagern.“ Überlagern wird sich auch in „Naiade“ einiges. Der Titel spielt auf die Najaden an, in der griechischen Mythologie waren diese Nymphen für alle Gewässer zuständig. „Meerjungfrauen, Seewesen, Atlantis: Mir geht es um das Wasser und seine Mythen, aber auch um seine unbekannten Tiefen, Strömungen, um die dunkle Seite“, sagt Douglas Lee. In Zeiten des Klimawandels und wachsender Umweltprobleme will er den Mythos Meer neu befragen – als Ort von Sehnsüchten, als Ort von Krisen.

Vor Ort Vertrauen in ein Produktionsteam haben zu können, das ist Douglas Lee wichtig. In Stuttgart fühlt er sich gut aufgehoben. Gibt es Länder, in denen er gerne arbeiten würde? „Ja, Australien“, antwortet der Choreograf. „Und es wäre spannend, einmal nach England eingeladen zu werden, zu einer der zeitgenössischen Kompanien wie Rambert Dance.“ Wer weiß, was der Brexit noch alles bringt.