Annette Kolb Quelle: Unbekannt

Als zweite Ausgabe in der „Bibliothek Wüstenrot Stiftung“ sind die Werke von Annette Kolb erschienen.

LudwigsburgDie denkmalgerechte Instandsetzung des von der Technischen Universität Berlin für Versuchszwecke genutzten Umlauftanks des Architekten Ludwig Leo und die vierbändige Werkausgabe der Schriftstellerin Annette Kolb, zu Lebzeiten die Grande Dame der deutschen Literatur, heute aber fast vergessen – wie passt das zusammen? Bestens, findet Philip Kurz, der Geschäftsführer der in Ludwigsburg beheimateten Wüstenrot Stiftung. Beide Projekte, Umlauftank wie Werkausgabe, hat die gemeinnützige Stiftung mit ihren Mitteln gefördert, gemäß ihrem Auftrag materielles und immaterielles Kulturgut zu erhalten. Und dazu gehört natürlich auch, sagt Kurz, „es unter die Leute zu bringen“. Darum ist die sorgfältig edierte und wissenschaftlich kommentierte Kolb-Kassette für sensationell günstige 49 Euro zu haben. Der Preis sollte jedenfalls kein Hindernis sein, das lesenswerte Œuvre der Autorin neu zu entdecken. „Genau dazu sind wir da.“

Ohne die finanzielle Unterstützung durch Wüstenrot müsste die Ausgabe mindestens abschreckende 120 Euro kosten, wenn nicht mehr. Ziel der 1921 in Stuttgart gegründeten Wüstenrot-Stiftung war es anfangs, die Wohnungsnot nach dem Ersten Weltkrieg zu lindern. Heute gehört sie zu den großen unabhängigen Stiftungen in Deutschland. Öffentliche Aufmerksamkeit zogen anfangs vor allem die Restaurierungen wertvoller Baudenkmäler des 20. Jahrhunderts auf sich. Prominentestes Beispiel in hiesigen Breiten ist zweifellos die Instandsetzung des größeren der beiden Corbusier-Häuser in der Weißenhofsiedlung. Dass die Stuttgarter Bauten des Moderne-Matadors seit 2016 zum Weltkulturerbe zählen, wäre ohne diese wissenschaftlich begleitete Sanierung undenkbar gewesen.

Andere zu neuem Leben erweckte Glanzlichter aus dem Denkmalprogramm sind der Einsteinturm in Potsdam von Erich Mendelsohn, die Meisterhäuser in Dessau von Walter Gropius, Sep Rufs Kanzlerbungalow in Bonn oder auch das Haus Schminke von Hans Scharoun in Löbau – die Liste liest sich wie ein Who’s who der modernen deutschen Architektur. Nicht ganz so umfangreich ist bislang der Literaturbereich, in dem sich die Stiftung seit 2008 engagiert. „Literatur bewahren!“, eine Editionsreihe in Zusammenarbeit mit der Akademie für Sprache und Dichtung, soll wichtige literarische Werke des 18. bis 20. Jahrhunderts dem Vergessen entreißen und Autoren wie Peter Altenberg oder Oskar Loerke auf einem zunehmend von Kommerzialisierung und Konkurrenzdruck bestimmten Buchmarkt für heutige Leser zugänglich machen. Mit der neuen Reihe von Werkausgaben bedeutender Autorinnen des 20. Jahrhunderts schärft sich das Profil dieses Programms jedoch deutlich – zur Freude von Philip Kurz. Sein Befund, was Wunder: „Frauen fallen in der Literatur eher hinten runter als Männer.“

Erste der im Wallstein-Verlag erscheinenden Reihe mit ihren charakteristisch braun getönten Einbänden war Irmgard Keun, die im Januar im ausverkauften Stuttgarter Literaturhaus vorgestellt wurde. Ihr folgt nun Annette Kolb (1870-1967). Sie, Tochter eines Deutschen und einer Französin, war eine produktive Schriftstellerin, deren Œuvre Romane, Erzählungen, Feuilletons und Essays umfasst. Die kürzeste Fassung ihrer Vita stammt von der Autorin selbst und steht gleich im ersten Band: Um eine autobiografische Skizze gebeten, schreibt die Fünfzigjährige an den Herausgeber des „Literarischen Echos“: „Mein Leben wird letzten Endes vor allem die Geschichte eines Gedankens gewesen sein, der einer deutsch-französischen Verbrüderung, deren Zusammenbruch ich erfahren mußte, auf deren Verwirklichung aber für mich das Heil Europas, also auch der Welt beruht. Ich wüßte nicht, was ich sonst von mir erzählen sollte.“ So altmodisch ihr Foto mit Schleierhütchen auf dem Cover auch anmuten mag, als politische Schriftstellerin ist sie gerade in zunehmend nationalistischen Zeiten wie diesen wieder hochaktuell. Parallel zu Thomas Manns „Betrachtungen eines Unpolitischen“, in denen der nachmalige Nobelpreisträger von tiefsinniger deutscher Kultur im Gegensatz zu oberflächlicher französischer Zivilisation schwadronierte, trat sie im Ersten Weltkrieg für eine Aussöhnung der verfeindeten Länder ein – und musste darum vor der Verfolgung durch deutsche Behörden in die Schweiz fliehen, eins von vielen Exilen in ihrem Leben.