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Joseph Haydns musikalischer Humor ist berühmt und berüchtigt. Seine abgründige Seite zeigte er im grandiosen Stuttgarter Konzert des Hammerklavier-Virtuosen Andreas Staier und des Freiburger Barockorchesters.

StuttgartEs wirkt wie der unpassende Witz in einer tiefernsten Situation: Stürmend und aufgewühlt beginnt Joseph Haydns 83. Sinfonie im erregten g-Moll. Und dann, nach einer Staccato-Tonleiter, lachen die Hühner. Zumindest hat die Nachwelt das gackernde Seitenthema so verstanden und dem für Paris komponierten Opus den Beinamen „La Poule“ (Die Henne) verpasst. Im Konzert des Freiburger Barockorchesters im Stuttgarter Mozartsaal legt Orchesterleiter und Hammerklavier-Begleiter Andreas Staier bei der Wiederholung der Exposition noch ein paar kleine improvisierte Eier ins Nest: feinster Humor, hochmusikalisch im pointierenden Dialog mit Haydns ironischem Esprit. Zwar bleibt das Gackermotiv episodisch, doch gerade darin dreht es den geballten Ernstfall-Sequenzen eine Nase: der tosenden Emotionalität, der kontrapunktischen Durchführung des Kopfthemas, eines leittönig erweiterten Dreiklangs. Haydns Humor ist eben nicht nur der eines musikalischen Scherzkekses, sondern subversiv: Er dementiert noch die Wahrheit der erregtesten Empfindung, er wurzelt in Abgründen.

Trauer-Moll und Dur-Balsam

Und die öffnen sich – humorfrei – in den f-Moll-Variationen für Klavier: ein zunächst janusköpfiges Werk, wo den Wunden der Trauertonart tröstender Dur-Balsam verabreicht wird, bis die Coda mit ihrem offenen Ausklang in schierer Resignation verebbt. Staier spürt den sensiblen Wegen mit empathischer Phrasierung nach, wagt schwindelerregende Exkursionen ins Leise und Hauchfeine, tastet chromatische Labyrinthe und subtilste Nuancen aus. Das ist so eindringlich und kongenial wie pure Gedankenübertragung, als passten keine Noten zwischen Komposition und Spiel. Nur steckt kein Hokuspokus dahinter, sondern die überragende Musikalität Staiers, dieses größten Hammerklavier-Könners seiner Generation, technisch zwar nicht unfehlbar, aber gerade deshalb der lebende Beweis, dass ganz andere interpretatorische Qualitäten zählen als die säuberliche Vermeidung kleinster Fehlerlein.

Ebenso grandios traf Staier das gegensätzliche Flair von Haydns D-Dur-Klavierkonzert (das sich nicht hinter den Konzerten Mozarts verstecken muss): mit straff perlenden Konturen und energetischen Akzenten im Vivace, ins Frühromantische schweifender Rhapsodik im langsamen Satz. Dann das quirlige Finale „all’Ungherese“ (in ungarischer Art): ein rasanter Fingertanz wie auf einer Glutplatte. Keck animierte Staier die Vorschlag-Motive, riskierte herzhaftes „Falschspielen“ in einer dissonierenden Imitation des Zymbals, des ungarischen Hackbretts. Unglaublich feurig das alles, und das Orchester dosierte reichlich Pfeffer und Paprika dazu.

Tiefe und dramatische Bedeutung

Wie überhaupt die von Konzertmeisterin Petra Müllejans angeführten Freiburger Barocker den Haydn-Spaß mit tiefer und dramatischer Bedeutung verbanden: in der expressiven Verve des Kopfsatzes der „Poule“-Sinfonie, in den heftigst geschärften dynamischen Kontrasten des folgenden Andante, im robust ländlernden Menuett – und im brillant durchs Motivgeflecht preschenden Finale sowieso.

Genauso brisant Haydns B-Dur-Sinfonie Nr. 85 „La Reine“ (die Königin – gemeint ist Marie Antoinette; allerdings stammt der Titel nicht von Haydn). Heller Klang und federnder Elan erhoben im „majestätischen“ Kopfsatz die Entwicklung der bereits in der langsamen Einleitung exponierten Motive zu lebendiger Klarheit. Im Variationensatz reihten sich prägnant ausziselierte Kabinettstücke (delikate Flötenfiguren, warme Fagott-Noblesse), im Menuett fetzten die gegenmetrischen Akzente (und auch hier gab’s eine kleine, gezielt schräge Impro-Show im folkloristischen Trio). Samt dem schnittig flitzenden Finale abermals der Beweis: In Haydns Sinfonien steckt mehr Geist als in manchen musikalischen Überwältigungsmaschinen der Folgezeit. Man muss den Geist nur erfassen. Die Freiburger taten’s – mit Bravour.