Schrecklich normale und nah am Klischee gebaute Gutmenschen (von links): Ralf Stech als Jonas, Judith Florence Ehrhardt als Anna, Murat Dikenci als Annas deutsch-türkischer Freund Ahmet und Anke Stedingk als Doro. Foto: Tobias Metz - Tobias Metz

Wie die liberalen Menschenfreunde einer WG am Stuttgarter Killesberg auf ihre eigenen Vorurteile prallen, zeigt im Alten Schauspielhaus die Komödie „Willkommen“ von Lutz Hübner und Sarah Nemitz.

StuttgartNehmen wir ein paar Flüchtlinge, einen Türken aus dem Hallschlag oder doch die Tischtennisplatte? Vor dieser Wahl stehen die Bewohner einer WG am Stuttgarter Killesberg, als plötzlich ein Zimmer frei wird. Wie dabei liberale Menschenfreunde auf ihre eigenen Vorurteile prallen, zeigt im Alten Schauspielhaus die Komödie „Willkommen“ von Erfolgsautor Lutz Hübner. Er wurde mit seinen lebensnahen Stücken wie „Frau Müller muss weg“ berühmt und nimmt hier zusammen mit seiner Frau Sarah Nemitz als Koautorin die Flüchtlingskrise zum Ausgangspunkt für eine teils scharfzüngige, oft boulevardeske und durchweg sehr deutsche Konfrontation.

Ratloses bis entsetztes Schweigen

Es ist nicht die typische WG-Wohnküchen-Gemütlichkeit, die Ausstatterin Carolin Mittler aufgebaut hat: Die Auswahl an Sitzgelegenheiten scheint aus dem Design-Museum zu stammen, mitten auf dem (Achtung, Metapher!) abschüssigen Boden prangt ein Flügel. Fast musicalmäßig werden hier spontan angestimmte Popsongs begleitet, die zur Schwarzweiß-Eleganz des Bühnenbilds und zur Thematik passen. Anglistikdozent Benny will ein Jahr beruflich nach New York gehen und würde sein geräumiges Zimmer für diesen Zeitraum gern an Flüchtlinge vermieten. Das ratlose bis entsetzte Schweigen auf seinen Vorschlag führt zu einem Abend voller Diskussionen, an dem wir unsere eigenen Vorurteile und Ängste vorgeführt bekommen.

Das im vergangenen Jahr uraufgeführte Stück wird in jedem Theater an die jeweilige Stadt angepasst, so richtig schwäbisch aber kommt die Killesberg-WG nicht rüber: Die Schickimicki-Kälte der Bühne passt so gar nicht zum klassischen Understatement der Schwaben, wo man eigentlich nicht vorzeigt, was man hat. Auch der Einstieg in den Abend fällt arg exaltiert aus: Warum sprechen die fünf Bewohner anfangs direkt mit dem Publikum, warum sind sie so künstlich aufgekratzt? Dann aber entwickelt Regisseurin Schirin Khodadadian gemeinsam mit ihrem bestens aufgelegten Ensemble die Charaktere sorgfältig und detailliert, sucht die Nuancen in den – wie immer bei Hübner – nur leicht angeknacksten Figuren. So scharfsinnig sie auch gezeichnet sind (und was für dankbare Rollen sie doch den Darstellern geben!), so nahe sind sie doch am Klischee: die gescheiterte Künstlerin etwa, die Eva Geiler spöttisch-stark und doch unterschwellig gereizt porträtiert, oder der Betriebswirt, bei Ralf Stech ein netter Kerl mit trockenem Humor, überfordert einzig mit der Frau als solcher. Nikolaij Janocha schwankt als Benny geschmeidig zwischen Kumpeltyp und schwulem Frauenversteher, Anke Stedingk spielt ein tiefenentspanntes Vollweib, das nur beim Thema arabische Männer aufbraust. Großartig windet sich Judith Florence Ehrhardt als Sozialpädagogikstudentin Anna in einer verhuschten Nervosität, viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie je jemand helfen könnte. Angenervt poltert Richy Müller via Filmeinspielung als nüchterner, reicher Vater herein.

Kompliziert wird die Situation durch Ahmet, den türkischen Freund von Anna, der auch gern einziehen würde. Er ist, witzig und höchst sympathisch gespielt von Murat Dikenci, ein wahrer Sonnenschein, nennt aber die Jungs seines Sozialprojekts liebevoll „Kanaken“ und hat etwas gegen Palästinenser. Darf ein deutscher Türke Rassist sein? Wie weit geht die Toleranz, wie fest sitzen die alten Begrifflichkeiten in uns, lähmen wir uns in unserer politischen Korrektheit vielleicht selbst? Die Geheimnisse der Figuren, die Hübner und Nemitz entwerfen, beschränken sich auf ein gebrochenes Herz, eine nicht so dolle Karriere; wie gern würde man in diesen Stücken mal einen echten Abgrund entdecken. Aber vielleicht macht das den Erfolg dieser bundesrepublikanischen Komödien aus, dass ihr Personal so schrecklich normal ist und den Zuschauer mit seiner eigenen Klischeehaftigkeit konfrontiert.

Am Ende von „Willkommen“ findet keineswegs eine Entzauberung der wohlmeinenden Gutmenschen statt: Wir haben sogar heimlich Verständnis dafür, wenn sie, mit Verlaub, den Arsch nicht hochkriegen. Es bleibt alles beim Alten.

Weitere Vorstellungen: bis 1. Dezember täglich außer sonntags.