Jede(r) fühlt anders, Konflikte bleiben nicht aus - aber es gibt Wege, sie zu überwinden. Foto: Alex Wunsch Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Stuttgart - Neun junge Menschen. Neun unterschiedliche Biographien. Eine heterogene Gruppe. Die eine ist alleine aus Simbabwe geflohen, der andere kommt aus dem Iran. Einer hat Probleme mit Autoritäten, eine andere mit der Genderfrage. Eine spricht so gut wie nichts, eine andere löchert ununterbrochen mit bohrenden Fragen. Unterschiedliche kulturelle Prägung, unterschiedliche Religionen, unterschiedliche Temperamente - kann da Gemeinsamkeit entstehen? Wie es geht, zeigt das Junge Ensemble Stuttgart (JES) in seiner jüngsten Produktion - mitreißend, schwungvoll und auch komisch. „R.E.S.P.E.C.T.“ ist ein absolut sehenswertes Tanztheaterstück für Zuschauer ab 14 Jahren von JES-Intendantin Brigitte Dethier und dem Choreographen Ives Thuwis-De Leeuw.

Alle Achtung, was die sechs Jugendlichen, Schauspielerin Franziska Schmitz und die beiden Tänzer Lin Verleger und Kelvin Kilonzo 75 Minuten lang auf die Bühne bringen. Stuttgarts Tanz-Ikone Eric Gauthier könnte daraus problemlos seinen Nachwuchs generieren. Denn es ist eine fantastische körperliche und darstellerische Leistung der jungen Persönlichkeiten, die nicht nur mit atemberaubenden Powermoves, sondern auch mit sehr persönlichen Monologen und teils witzigen Dialogen beste Unterhaltung bieten. Sechs Monate lang haben sich die Akteure mit dem Thema Respekt auseinandergesetzt. Ihre Empfindungen und ihre persönlichen Geschichten machen das Stück, dem die peitschenden Elektrobeats, die impulsiven Synchronbewegungen und die Breakdance-Soli einen tragfähigen Rahmen geben, sehr transparent. Erfährt man die Hintergründe, begreift man die Körpersprache.

Mit Schwung schliddern die Darsteller quer über den Bühnenboden, lassen sich fallen, rappeln sich hoch, rennen zurück und beginnen das Spiel von neuem. Immer wieder. Unermüdlich, bis sie am Ende völlig außer Puste sind. Wie im richtigen Leben: nach einem Niederschlag immer wieder aufstehen, neu versuchen.

Was sie bewegt, drücken sie durch vehementen Körpereinsatz aus: Vorurteile, Ängste, Provokationen und Erwartungen. Jeder fühlt anders. Versteht man nicht immer. Muss man auch nicht. Nur Respekt ist wichtig, die Achtung vor dem anderen. Man fühlt sich isoliert, missverstanden, ausgegrenzt, rennt gegen die Gruppe an - und möchte doch am liebsten einfach nur umarmt werden.

Jeder hat seine Eigenart, jeder bringt eine ganz eigene Dynamik in die Gruppe. Lin etwa, der machohafte Außenseiter im Glaskasten, den sein Vaterkonflikt beutelt und der sich von Sunnyboy Kelvin provoziert fühlt, der mit kurzem Ringelkleidchen und lasziven Bewegungen reizt. Ihren Konflikt tragen sie im spannungsgeladenen Breakdance-Battle aus - hart, aber fair. Die androgyne Anna, 13 Jahre alt, nervt mit ihrem Wissen, will Chefärztin werden. Nik ist ein 16-jähriger Herzensbrecher, und Leah verdammt still. Najbeer sagt am liebsten Nein, Franziska fragt allen Löcher in den Bauch, aber Jona findet sie süß. Be aus Simbabwe war Kindersoldatin. Sie sagt nach einem Konflikt den Satz, der alle wieder zusammenführt: „Don’t give up. Let’s dance.“ Nicht aufgeben. Tanzen. Das Leben festhalten und gleichzeitig loslassen können.

Die nächsten Vorstellungen: heute und morgen sowie täglich vom 24. bis 27. Oktober.