Alison Moyet im Wizemann, Stuttgart. Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt - Lichtgut/Christoph Schmidt

Alison Moyet ist im Wizemann Stuttgart aufgetreten. Bei der früheren Yazoo-Sängerin klingen selbst die 80er-Jahre sehr modern.

StuttgartKaum zu glauben, aber es sind schon wieder über fünf Jahre vergangen, seit Alison Moyet zuletzt in Stuttgart gastierte. Im Theaterhaus gab sie im September 2013 ein beeindruckendes Konzert, das sie jetzt im Wizemann toppen wollte – und toppt.

Was zuerst auffällt: Moyet ist, wie ihr Publikum, älter geworden. 57 ist sie mittlerweile, Mutter dreier Kinder und Großmutter. Ihre Solokarriere dauert seit 35 Jahren an, sie verschaffte ihr den Ruf als eine der bedeutendsten Sängerinnen Großbritanniens. In den frühen Achtzigern feierte sie als singende Hälfte des wegweisenden Elektropop-Duos Yazoo ihre größten Erfolge, gemeinsam mit Ex-Depeche-Mode-Keyboarder Vince Clarke. Moyet, die 1961 in Basildon in der Grafschaft Essex geborene Tochter eines Franzosen und einer Engländerin, ist eine Ikone der 80er, eine Legende – und eine Klasse für sich.

Trotz ihres Alters hat sie nichts von ihrer Strahlkraft verloren, im Gegenteil. Sie ist attraktiver denn je. Alison ist kein Star, der sich selbst feiert und zitiert, sondern eine moderne Frau, die ihre mittleren Lebensjahre liebt. Sympathisch, unprätentiös, schlank und ganz in schwarz gehüllt steht sie da, mit sich im Reinen und mit gutem Draht zum Publikum. Vor fünf Jahren war sie noch nicht so gelöst, so befreit, so selbstbewusst, heute tanzt sie, wenn auch etwas ungelenk, wie eine Diva.

Neun Soloalben verzeichnet ihr Backkatalog. Für Stuttgart wählt sie Musik aus sieben CDs – ein faszinierender Mix aus ganz alten und neuen Titeln vom aktuellen Album „Other“.

„I Germinate“, mit dem sie das Konzert eröffnet, ist so ein sperrig-progressiver Cinemascope-Popsong. Dramatisch wummert es im bestens gefüllten Saal, im Stile einer Shirley Bassey („Goldfinger“, „Diamonds Are Forever“). Seltsam, dass Moyet bis heute keinen Titelsong zu einem James-Bond-Film singen durfte. Auch so ein perfekter Bond-Song wäre das superb zelebrierte „The Rarest Birds“, ein balladeskes Pop-Juwel und eine Liebeserklärung an die LGBTQ-Community. Seit ihren Zeiten als junge Punk-Frau fühlt sie sich der Gemeinschaft verbunden. Deshalb feiert sie mit „Other“ das Anderssein und deshalb wohnt sie mittlerweile in der englischen Küstenstadt Brighton, wo jeder sein darf, was und wie er möchte.

Die poetischen Lyrics geben sich auch live geheimnisvoll, ihre Texte sind verschachtelt und ausgeklügelt und setzen extraordinäre Englischkenntnisse voraus. Wie beim unterkühlten „The English U“, das sie ihrer verstorbenen Mom widmet, die extrem penibel in Bezug auf korrektes Englisch war. Mit „The sharpest corner (Hollow)“ intoniert sie zu Konzertmitte eines der schönsten Lieder des Abends. Es stammt vom Album „The Turn“ (2007) und schraubt sich, leider viel zu kurz, in hymnische Höhen. Abwechslungsreich, mal langsam, mal schnell, aber immer leidenschaftlich schürt Alison die Emotionen: Balladen, Theater, Kitsch hier, knackig produzierte Elektro-Soulnummern und rockige Töne dort. Der Klang ist überraschenderweise ausgefeilt und raumfüllend, obwohl nur zwei Musiker neben der Britin stehen: der kurzfristig eingesprungene Paul James am elektronischen Drumset sowie Sean McGhee, der Synthesizer, Piano, Gitarre und Bass spielt und ab und an mit einem starken Background-Falsett aufwartet. Ein minimalistisches Setting, teilweise sehr synthetisch, deshalb aber nicht minder betörend, auch dank einer effektvoll-sphärischen Lichtdramaturgie. Neonröhrenartige Streifen rauben einem immer wieder die Sinne, doch trotz viel Blendwerk bleibt vieles im Halbdunkel. Die dreifache Brit-Award-Gewinnerin und Grammy-nominierte Moyet sucht ganz und gar nicht das Rampenlicht.

Umso lichtheller strahlt ihre unter die Haut gehende, dunkel-kräftige Altstimme. Sie ist nach wie vor einzigartig. In den tiefen Lagen macht ihr keine zweite Frau etwas vor, aber auch das Wechselspiel aus Höhen und Tiefen fasziniert immer wieder. Wie beim großartigen, bluesig-rockigen „Beautiful Gun“. Genau solch eine aufgekratzte Elektro-Pop-Perle würde Depeche Mode gut zu Gesicht stehen. Und so manche junge R&B-Hupfdohle müsste erkennen, wer der wahre Superstar ist.

Gemeinter Star ist natürlich auch seiner Vergangenheit verpflichtet. Als zweiten Song legt Moyet „Nobody´s Diary“ offen, später folgt „Only you“, der allererste Yazoo-Hit von 1982, und „Situation“ beschließt ausgelassen das reguläre Set. Die Yazoo-Erfolge von einst sowie Soloerfolge wie „All cried out“ (1984), das sie mittendrin lachend abbricht und neu startet, katapultieren das Konzert nicht nur in ungeahnte Höhen, sondern beweisen auch, dass die 80er Jahre ganz schön modern klingen können, ohne zu kneifen.

Bei der ersten Zugabe „Love Resurrection“ tanzt endgültig der ganze Saal und „Don´t go“ als Rausschmeißer ist sowieso der Kracher schlechthin. Was für eine freudige Stimmung herrscht bei diesem famos eingängigen Stück, dem größten Yazoo-Hit, und wie sehr wünschen sich die Fans am Ende, Moyet würde nach neunzig knackigen Minuten tatsächlich nicht gehen. Ein kleines, aber feines Konzert. Wohnzimmeratmosphäre. Wohlfühlatmosphäre. Genau so muss ein Konzert sein.