Lichtgestalten im Halbdunkel: Szene aus „Le brasse de l’air“. Foto: Julien Joubert - Julien Joubert

Das moderne Figurentheater und seine Ästhetik sind so vielfältig wie das Leben. Beim Festival Imaginale in Stuttgart gastierten mehr als 100 Produktionen aus zwölf Nationen – darunter etliche Höhepunkte. Nur das jüngere Publikum macht sich – wie bei anderen Kulturveranstaltungen – rar.

StuttgartDen Tod belachen, das Leben feiern, global denken und das Träumen nicht vergessen: Im interdisziplinären Spiel mit hybriden Formen ist in Stuttgart und den Partnerstädten Mannheim, Ludwigsburg, Eppingen, Schorndorf und Heilbronn die 7. Imaginale zu Ende gegangen. Elf Tage lang stellten sich mehr als 100 Produktionen aus zwölf Nationen zur Diskussion. Die meisten Stuttgarter Vorstellungen waren ausverkauft, das Publikum reagierte begeistert, fragt sich aber selbst: Wo bleibt die jüngere Zuschauergeneration? Wie sind die 30- bis 40-Jährigen zu erreichen?

Mehr denn je bewegten sich die Produktionen im Grenzbereich von Tanz, Musik, Performance und Digitalkunst. Doch auch das zeitgenössische Figurentheater verleugnet seine Wurzeln nicht. Zu erleben etwa bei der jungen Slowenin Zala Ana Stiglic mit „Victoria 2.“, die in einem messiemäßigen Raum mit ihrem Körper, aber auch mit handgeführten Figürchen vor einem Monitor sehr humorvolle Optimierungsversuche zum Thema „Gewinner“ präsentierte.

Hinzu kam der Abend von Ilka Schönbein mit ihrem eleganten Spiel („Weißt du was? Dann tanze jetzt!“). Schönbein, die ihr Handwerk noch bei Albrecht Roser gelernt hat, lässt die Figur der Grille zur Musik von Alexandra Lupidi und Suska Kanzler um ihr Leben tanzen und erzählt die Geschichte von der nach ewiger Schönheit gierenden Stiefmutter Schneewittchens. Selten wurden universelle menschliche Eigenschaften so entlarvend und berührend im Figurentheater gefasst.

Produktionen wie „Um Berge zu vernetzen“ des Stuttgarter Ensembles Gerdas Knochen scheinen denn doch jüngere Zuschauer anzuziehen. „Wir brechen mit den tradierten Theatervorstellungen, bei uns muss man nicht still sitzen, man kann aufstehen und sich auch mal ein Bier holen“, sagt Li Kemme von Gerdas Knochen über ihren Parcours zwischen Punkrock und Geschichtenerzählen.

„Kar – Wiederkehr“ vom Ensemble Studio Damuza aus Tschechien war einer der Höhepunkte. Die verrückte Idee: Anna Kareninas Wahnsinnssuizid in einem rauschenden Fest zu feiern. Mit dem langsamen Walzer „We are going to die“ wird Anna zu Grabe getragen, begleitet von lautem Gelächter über den Tod: eine mitreißende Hymne auf das Leben. Auf andere Weise lustig: Mit dem Kommentar „Affentheater“ verließ ein Zuschauer gleich nach Beginn die Inszenierung „Le brasse de l’air“ der französischen Künstler Magali Rousseau und Stéphane Diskus. Der Grund: Es gab keine Sitzplätze. Das Publikum wurde gebeten, sich im Halbdunkel von einer Lichtquelle zur nächsten zu bewegen und sich aus Sichtgründen dazwischen auf den Boden zu setzen.

Hoffnung macht indes die übernächste Zuschauergeneration: Unvoreingenommen verfolgten die Allerjüngsten Märchen-Adaptionen oder die aus dem Altenheim ausgebüxte Marionette Frau Friedel bei ihrer Suche nach etwas Abenteuer.