sagt der inzwischen 62-jährige Heinz Rudolf Kunze. Foto: Oliver Willikonsky/Lichtgut - Oliver Willikonsky/Lichtgut

Der inzwischen 62-Jährige singt, liest, schimpft, türmt Verwünschungen aufeinander, schreckt auch vor groben Vokabeln nicht zurück. Bush und Trump, Boney M. und Modern Talking haben für Kunze den Beweis gemein, dass es immer noch ein bisschen schlimmer geht. Aber Kunze zeigt sich auch heiter, denn selbst Gott, glaubt er, hat Humor.

StuttgartLange, sagt Heinz Rudolf Kunze, habe er nach einem Lied gesucht, mit dem er sein Publikum im Stuttgarter Theaterhaus willkommen heißen könnte. Er hat es gefunden, es heißt: „Das ist der Abend vor dem Morgen danach.“ Bevor er es singt, singt er drei Stücke seines neuen Albums „Schöne Grüße vom Schicksal“, veröffentlicht im Mai 2018. Es folgen: alte Lieder, neue Lieder, der größte Hit dann ganz zuletzt – und dazwischen immer wieder viele böse Worte.

Heinz Rudolf Kunze war in den späten 80er-Jahren der Mann, der für das dringende Update des schlauen Deutschrocks sorgte, ein Liedermacher, der sich von elektrischen Gitarren begleiten ließ. Treu ist er sich geblieben, treu ist auch sein Publikum. Kunze rockt und spielt die sanften Lieder, er gibt sich störrisch und romantisch, nachdenklich auch, holt dann wieder aus zum wortgewaltigen Rundumschlag.

1996 erregte Kunze Aufsehen mit seiner Forderung nach einer Deutschrockquote für Rundfunkanstalten. Mindestens 40 Prozent der Songs, die die Radios spielten, fand der ehemalige Student der Germanistik und Philosophie, sollten in deutscher Sprache sein. Das sorgte für harsche Kritik, der reimende Rocker stand plötzlich als Spießer da. Heute führt gerade diese Erinnerung deutlich vor Augen, wie nicht nur das Musikgeschäft sich seither wandelte. Denn um eine „Leitkultur“ war es Kunze 1996 allenfalls in einem ganz anderen Sinne gegangen: Ihm ging es ums Niveau. Viel zu viel Schund, erklärte er, schwappe in englischer Sprache durch das Radio. Längst schon scheint sich dies verkehrt zu haben: Junge deutsche Popmusiker füllen die Hitparaden – aber am Niveau hat sich nicht viel geändert. Schund, so wie Kunze ihn versteht, geht offensichtlich auch auf Deutsch.

Kunze indes hat die Arbeit an der Sprache nie aufgegeben. Schon in den 80er-Jahren besorgte er die deutschen Übersetzungen prominenter Musicals, im Sommer 2018 führte die Esslinger Landesbühne seine Version von Shakespeares „Sommernachtstraum“ auf. An den Flügel setzt sich Kunze im Theaterhaus nicht nur, um Duette mit seinem Keyboarder Matthias Ulmer zu spielen, einem gebürtigen Calwer, lange schon an Kunzes Seite, ein Mitglied auch des Stuttgarter Urgesteins Anyone‘s Daughter. Nein, Kunze setzt sich auch an den Flügel, um zu lesen, seine Texte, die böser und heiterer sind denn je.

Wenn er liest, dann schimpft er, türmt Verwünschungen aufeinander, schreckt auch vor groben Vokabeln nicht zurück. Bush und Trump, Boney M. und Modern Talking haben für Kunze den Beweis gemein, dass es immer noch ein bisschen schlimmer geht. Und wenn er einem wirklich übel will, dann spricht er diesen Fluch aus: „Du sollst in einem Lied von Andrea Berg erwähnt werden.“

Kunze ist 62 Jahre alt, der Schnauzer ist lange schon ab, die Brille unauffälliger – hier steht ein fülliger Herr, der dem Papst eine Penisvergrößerung andichtet und religiösen Fundamentalisten seinen innigsten Wunsch verrät. „Wann“, sagt er, „gibt es endlich hier auf Erden den ersten Staat, in dem man für Gotteslästerung einen Orden bekommt? Gott hätte nichts dagegen, da bin ich mir sicher. Gott hat nämlich Humor. Zumindest meiner.“ Kunze holt Songs hervor, die er sang, als die Welt noch friedensbewegt war. Er singt Lieder aus jener Zeit, in der seine Wut „muskulöser“ wurde, singt ein Duett mit Natalie Pütz. Und wenn er, 38 Jahre nach seinem ersten Album, doch wieder öfter zur Ballade zurückkehrt, erinnert er oft mehr und mehr an die Liedermacher einer älteren Generation. Mit Donald Trump und Modern Talking hat das nichts zu tun.