Von Dietholf Zerweck

Stuttgart - Als „das leidenschaftlichste, wildeste, ja man möchte fast sagen revolutionärste Adventslied“ hat der Theologe Dietrich Bonhoeffer das letzte „Magnificat“ von Heinrich Schütz aus dem Jahre 1671 empfunden. Im Adventskonzert des SWR Vokalensembles in der Gaisburger Kirche bildete es den Auftakt zu einem originellen Programm, welches aus ganz unterschiedlichen musikalischen Perspektiven auf die in der christlichen Liturgie von Erwartung und Hoffnung geprägte Zeit vor Weihnachten Bezug nahm.

Die Motette des 86-jährigen Schütz am Ende eines Zyklus von Psalmenvertonungen, vom Komponisten selbst als „Schwanengesang“ bezeichnet, formt den marianischen Lobgesang in der Übersetzung Martin Luthers in kunstvoller Doppelchörigkeit, die in der Wiedergabe durch Marcus Creed und sein Ensemble kontrastreich zum Ausdruck kam. Wenn Bonhoeffer aus dieser Musik vor allem ein „Lied von stürzenden Thronen und gedemütigten Herren dieser Welt, von Gottes Gewalt und von der Menschen Ohnmacht“ heraushörte, so erklang in der Gaisburger Kirche der zwischen den beiden Chören und Favorit-Quartetten fein differenzierte Lobpreis als ausdrucksvoll strahlendes Manifest frühbarocker Kantabilität, in der auch ein untergründiger Siciliano-Rhythmus schwerelos mitschwang.

Bei Brahms’ Motette „Es ist das Heil uns kommen her“ bewunderte man den Kontrast zwischen flächigem Choral im Stil von Johann Sebastian Bach und beweglichem fünfstimmigen Fugensatz, während Arnold Mendelssohns 1923 entstandene Motette „Träufelt ihr Himmel von oben“ die Bildhaftigkeit von Advent, Palmsonntag und Jüngstem Gericht in achtstimmigen Chorklang mit einzelnen Soli umsetzt. Das Gewebe aus Figuralgesang, Chorälen und Cantus firmus wurde vom SWR Vokalensemble mit teilweise etwas angestrengter Intonation vorgetragen.

Olivier Messiaens sich zur Ekstase steigerndes „O sacrum convivium“ lenkte den Blick auf das Mysterium der Eucharistie, Francis Poulencs „Salve regina“ präsentierte das Vokalensemble erneut im Hochglanzformat. Der mittelalterliche Marienhymnus, von Poulenc 1941 komponiert, wurde direkt artikuliert: In der idealen Akustik der Gaisburger Kirche wäre auch eine stärkere dynamische Differenzierung diesem luziden Werk gerecht geworden. Von überwältigender Strahlkraft erfüllt war schließlich die Interpretation von Krzysztof Pendereckis „Cherubinischem Lobgesang“ mit einem zentralen Text der orthodoxen Liturgie. Hier erreichte das durch Gäste ergänzte SWR Vokalensemble unter der Leitung von Marcus Creed ein hohes Maß an klanglicher Homogenität und Intensität.

Am 3. Adventssonntag um 8.45 sendet das SWR Fernsehen eine Aufzeichnung des Konzerts.