Britanniens Glanz und Gloria feiert Hans-Christoph Rademann mit der Gaechinger Cantorey und Musik von Georg Friedrich Händel. Foto: Holger Schneider - Holger Schneider

Abschlusskonzert des Stuttgarter Musikfests mit Hans-Christoph Rademann, der Gaechinger Cantorey und staatstragenden Tönen von Händel.

StuttgartKeine Repräsentationsfanfare, stattdessen Intimität, beinahe eine ins Private zurückgestülpte Feudalöffentlichkeit: Mit einem zarten, innigen Alt-Arioso, von milder religiöser Aureole und alsbald denn doch von einer majestätischen Trompete umglänzt, beginnt Georg Friedrich Händels Geburtstagsständchen für die englische Königin Anne. Dass dem Kontratenor Reginald Mobley bei dem heiklen Einstieg gleich mal Töne und Register verrutschten, legte einen Schattenmoment auf Feinsinn, Glanz und Gloria, die Händels Werke im Abschlussprogramm des Musikfests im Beethovensaal feierten. Später zeigte sich Mobley koloratensicher, integrierte sich mit freilich dünner Stimme und nicht immer intonationsgenau ins formidable Solistenensemble: exzellent geführt der lichte und schöne Sopran Christina Landshamers, geschmeidig und edel der Tenor Benedikt Kristjánssons, markant und beweglich der Bass Andreas Wolfs.

Die Hauptrolle in der großen Händel-Parade gebührte indes Hans-Christoph Rademann und seiner Gaechinger Cantorey, dem Chor und dem Orchester, und sie polierten die Kompositionen im Triumphton wie in der kontrastdramaturgischen Zurückhaltung zu purem Klanggold. So ungetrübt strahlte die staatstragende Musik, als gehe es hier tatsächlich um Friede, Freude und „United Nations“, wie es am Ende der Geburtstagsode weltumschlingend heißt: künstlerisch eine perfekte barocke Illusion, aber für Händel (und die Wirklichkeit) galt es nicht nur der Kunst. Mit der „Ode for the Birthday of Queen Anne“ und dem Utrechter Te Deum und Jubilate empfahl sich der mal wieder in London weilende Hannoveraner Hofkomponist als britischer Staatsmusikant, die beiden Werke von 1713 gleichen dem Antrag für ein dauerhaftes Arbeitsvisum. Die kränkelnde Queen, die ein Jahr später in die Ewigkeit abdanken sollte, war immerhin noch in der Lage, Händel eine stolze lebenslange Rente zu spendieren. Das Te Deum wiederum feiert das Ende des spanischen Erbfolgekriegs im Friedensvertrag von Utrecht, der England nebst anderem das Monopol des Sklavenhandels zuerkannte, wovon die South Sea Company weidlich (wenn auch letztlich vergeblich) zu profitieren hoffte. Auch Mister Händel investierte als Friedensgewinnler in spe ab 1716 in Aktien der Company.

Von solch zynischem Opportunismus ist in den Kompositionen natürlich kein Pieps zu hören. Sie unter dem Musikfest-Motto „Krieg und Frieden“ als reine Friedensmusiken zu subsummieren, ist allerdings selbst beinahe schon zynisch. Für die Interpreten wiederum kann es nur der Kunst gelten, dem Notentext. Und den brachte Rademann mit seiner Cantorey in ein sensationelles, klangplastisches Format. Es sind gerade diese gleichsam skulpturalen Effekte, die Händel auf dem Weg zu einer „britischen“ Tonsprache erprobt: imposant und raumklingend, kontrastreich in Tempo und Dynamik, das Vorbild Purcells mit der eigenen italienischen Prägung verschmelzend.

All dem gibt Rademann Feuer und astreine Präzision: den Kuppeleffekten der tonstufenweise aufsteigenden Soprane ebenso wie den rollenden Tonbildern der „reißenden Flüsse“ im Bass, der dramatischen Spannung von A-cappella-Soli und vehementen Tutti-Antworten, der hymnischen Verve wie auf wirkungsvolle Höhe- und Orgelpunkte ausgerichteten Polyphonie. Der Gaechinger Chor singt mittlerweile auf überragendem Niveau, sonore Qualität, hochauflösende Transparenz und gestaltende Akzentuierung sind tadellos, das Orchester steht dem nicht nach: mit sehniger Kraft, elastischer Dynamik in den Steigerungen ebenso wie in den Decrescendo-Figuren des Te Deum und Jubilate, eleganter Sensibilität etwa im Oboensolo mit erlesener Lautenbegleitung in der eingangs gespielten Suite aus Händels Oper „Il pastor fido“ – nur dürften die Finessen in den hinteren Reihen des für solche Musik zu großen Beethovensaals allenfalls ahn- statt hörbar sein.