Tolle Bilder, wenig Sinn: La Fura dels Baus projizieren allerlei Experimentalphysikalisches auf die „Schöpfung“. Foto: Julien Benhamou Quelle: Unbekannt

Von Verena Großkreutz

Ludwigsburg - Hübsche Bilder: In der Luft schwebt ein blau illuminierter singender Erzengel Uriel, unten planschen Adam und Eva halbnackt im Wasser, oben formieren sich 22 riesige, rot bestrahlte Helium-Ballons zur DNA-Kette. Da ist man in Haydns „Schöpfung“, die die katalanische Theatergruppe und ihr Regisseur Carlus Padrissa jetzt in Szene gesetzt und als Deutschlandpremiere bei den Ludwigsburger Festspielen präsentiert haben, schon fast am Ende. Auf Gottes großen Schöpfungsakt, an den Haydn und sein Librettist van Swieten noch recht unbekümmert glaubten, folgt dann aber ein gut halbstündiger Lobpreis, garniert mit Liebesgeständnissen Adams und einer unterwürfigen Eva - der inhaltlich unerträglichste Part dieses Werks. Aber „Die Schöpfung“ gehörte von Anfang an zu seinen populärsten Werken - wohl deshalb hat sie sich Fura dels Baus (auf Deutsch: Das Frettchen der Abgründe) vorgeknöpft hat, um ihr seine Bilderwelt überzustülpen.

Urknall mit Paukenschlag

Dass das Theaterkollektiv, das seit fast 40 Jahren mit spektakulären Choreografien und Performances Aufsehen erregt, in Sachen Erkenntnis nicht mehr so naiv ist wie der Komponist und sein Texter, machen sie gleich zu Beginn der Aufführung im Ludwigsburger Forum per Videoprojektionen deutlich: Die Darstellung des Chaos wird mit dem ganz unbiblischen Satz „At the beginning our universe was compressed“ konterkariert, und Haydns Paukenschlag in der musikalischen Ursuppe wird visuell zum Urknall umgemünzt.

Auch danach ergießen sich übers karge Bühnenbild immer wieder schwarz-weiße Videoprojektionen, die auf wissenschaftliche Erkenntnisse unserer Zeit verweisen. Unter den Animationen von Teilchenbeschleunigungen, Schwarzen Löchern und Gravitationswellen verschwindet fast das übrige Bühnengeschehen. Mal wird gezeigt, wie die Planeten kreisen, mal zucken Blitze durchs Bild, verästelte Adersysteme dehnen sich und ziehen sich wieder zusammen. Bei der Erschaffung der Geschöpfe wird es realistischer: durch flatternde Digital-Vöglein, die zur Schwarmwolke zusammenschmelzen, große Quallen, Riesenkäfer. Hinter dieser Bilderschwemme tanzen stets die Helium-Ballons - mal als Elementarteilchen , mal als Planeten. Ihre Seile führt der 40-köpfige Chor, der nicht nur singt, sondern auch bunt leuchtende Tablets bedient. Er steht offenbar für eine Flüchtlingsgruppe auf der Suche nach dem verlorenen Paradies. Die drei Erzengel singen ihre Rezitative und Arien meist an Seilen hängend - was oft genug unfreiwillig komisch wirkt, weil der schwarze Kran gerippeartig aus der Szene ragt und unter der Last zuweilen knarzt und stöhnt.

Klar, dass die Bilderflut ablenkt und die Musik manchmal darin untergeht. Dabei hat die Interpretation eine Menge zu bieten. Denn mit der französischen Dirigentin Laurence Equilbey, ihrem Insula Orchestra und ihrem Kammerchor Accentus hat man exzellente Ensembles mit ihm Boot. Equilbey sorgte für einen perfekt getimten Spannungsbogen: Das Orchester auf historischen Instrumenten legt sinfonische Power an den Tag, mit stets präziser und beredter Artikulation, feinen Farbschattierungen, die Effekte vom erstrahlenden Sonnenaufgang über brüllende Löwen bis zum aufgewühlten Meer dankbar auskostend. Kraftvoll und farbig präsentierte sich auch der Chor, der Haydns an Händel orientierte Klangpracht enthusiastisch und homogen zum Ausdruck brachte und selbst im Zuschauerraum verteilt noch präzise zusammensang.

Probleme machte die Produktion dem Solisten-Terzett, dem die Sangesarbeit durch die Bühnenmaschinerie deutlich erschwert wurde. An Seilen hängend Koloraturen singen zu müssen, ist ein ziemlicher Kraftakt. Auch die Distanz, die dadurch zum Publikum entstand, ging auf Kosten der emotionalen Farbe und Wärme der Solo-Stimmen. Sopranistin Sunhae Im machte ihre Sache trotzdem ganz vorzüglich, sang die Partien des Gabriel und der Eva inbrünstig und beherzt, mit strahlender Höhe, geschmeidig integrierten Koloraturen. Auch Tenor Martin Mitterrutzner konnte sich als Erzengel Uriel stimmlich gegen Orchester und Technik durchsetzen, was Bariton Daniel Schmutzhard als Raphael und Adam nicht immer gelang.

So darf man sich - bei allem frenetischen Applaus - am Ende fragen, was das alles soll: dieser riesige Aufwand, der sich in schönen Bildern erschöpft. Zwar mit dem Urknall und Schwarzen Löchern auffährt, aber die Utopie von einem Dasein des Menschen im Einklang mit der Natur, wie sie van Swieten und Haydn in der „Schöpfung“ zum Ausdruck gebracht haben, so gar nicht befragt. Die Industrialisierung, die später eine ungeheure Zerstörungsdynamik in Gang brachte, hatte zu Haydns Zeiten jedenfalls schon begonnen.