Im Griff des Schreckens: Szene aus der Uraufführung mit Magdalena Pohlus und Christian Werner Foto: Laura Kifferle - Laura Kifferle

Die Uraufführung schildert den Wechsel aus einer swingenden Amüsierwelt in die Schrecken des Nationalsozialismus. Miterzählt wird das Lebensgeschick von Stuttgarter Nazi-Opfern.

StuttgartEs braucht nur einen anderen Sound, Hundegebell und Schritte mit Nachhall, schon scheinen die beleuchteten Stufen keine Varieté-Treppe mehr zu sein, sondern Zugang zu einem Verlies. Ängstliches Atmen ist zu hören, jemand schnappt nach Luft. Wird hier, wo eben noch vergnügliche Unterhaltung geboten wurde, die Foltermethode Waterboarding angewandt? In dem von Ensemblemitgliedern der Tri-Bühne weitgehend selbst erarbeiteten Stück „Schweigen ist Silber“, das im Vorfeld der Eröffnung des Lern- und Gedenkorts Hotel Silber uraufgeführt wurde, können sich die Zuschauer nie in Sicherheit wiegen. Ein anderes Licht, ein anderer Klang (Musik und Sounddesign: Sebastian Huber), und schon wechselt das Geschehen seine Bezugsebene. Mit rein theatralischen Mitteln lassen die Regisseure Christian Werner und Manoel Vinicius Tavares da Silva, die mit Ferdinand Führer auch zum Autorenkollektiv gehören, unterschiedliche Wirklichkeitsebenen nahtlos ineinanderlaufen.

Doch bevor sie zwischen der swingenden Welt des Varietés und den Schrecken des Nationalsozialismus hin- und herwechseln, zielt ein Prolog aufs Publikum. Und das kommt nicht gut weg. Manoel Vinicius Tavares da Silva als Dummer August und Susanne Heigl als Weißclown liefern sich mit Blick in den Zuschauersaal ein Streitgespräch unter Sitznachbarn, indem es mehr um niedere Bedürfnisse und wahllosen Konsum geht als um Kunstgenuss. Da wird gehustet, reingequatscht, gefressen und geschmatzt.

Dann aber Vorhang auf: Christian Werner tänzelt als Varietédirektor über die Bühne, heizt das Publikum mit Hipphipphurra-Rufen an, aus denen jäh „Sieg Heil!“ wird. Licht aus. Wenn die Scheinwerfer die nachtschwarze Bühne nur spärlich beleuchten, wird in konzentrierten Szenen aus dem Leben des jüdischen Friseurs Jakob Preuß aus Gablenberg, des Juristen Gustav Esslinger vom Herdweg, der im Rollstuhl sitzenden Elise Berger, der Familie Scher und anderer Opfer des Nationalsozialismus erzählt.

Das Regieteam lässt dabei viele Leerstellen, etwa wenn die Frage nach dem Verbleib eines Nachbarn unbeantwortet bleibt. Da erzählt das Schweigen: vom Wegschauen und von einer fatalen Gleichgültigkeit. Magdalena Pohlus spielt die wechselnden Schicksale eindringlich und mit kontrollierten Emotionen. Und wenn Nina Armbruster am Vertikaltuch ihre Kunststücke zeigt, braucht es nur ein paar Worte, eine andere Beleuchtung und einen anderen Klang, um ihren Sturz aus der Höhe als Verzweiflungstat interpretieren zu können. Stark!

Die nächsten Vorstellungen: 13. November, 4., 28. und 29. Dezember.