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Eine Liebe zwischen zwei jungen Frauen, die eine aus Istanbul, die andere aus Berlin: Das Stück "Last park standing" spiegelt auf packende Weise Politisches im Privaten.

StuttgartEin Hausflur, vollgepumpt mit Tränengas. Die Berlinerin Janina und die Istanbulerin Umut lernen sich im Juni 2013 an einem ungemütlichen Ort kennen: inmitten der Proteste gegen die Zerstörung des Gezi-Parks in Istanbul, als die Polizei massiv gegen die Parkbesetzer vorgeht. Janina ist zufällig hineingeraten, Umut als Aktivistin der LGBTQ-Community und der Friedensbewegung. Es entwickelt sich eine innige Liebesbeziehung zwischen den beiden, vor allem eine aus der Ferne. Zusammenwohnen in Berlin oder Istanbul? Keine kann sich für ein Leben in der Stadt der anderen entscheiden.

In „Last park standing“, einem Stück der türkischen Dramatikerin Ebru Nihan Celkan, das jetzt als deutsche Erstaufführung am Kammertheater des Stuttgarter Staatsschauspiels Premiere hatte, geht es um ein Thema, das sehr viele junge türkische Intellektuelle betreffen dürfte: Gibt es unter den derzeitigen politischen Zuständen in der Türkei eine Zukunft für sie? Celkan zeigt das in ihrem Stück sehr deutlich: wie sie funktionieren, die subtilen, perfiden Unterdrückungsmethoden, mit denen der Autokrat Erdogan und sein Polizei- und Spitzelstaat gegen Andersdenkende und gegen eine diverse Gesellschaft vorgehen und ein Klima der Angst heraufbeschwören. Da braucht man gar nicht jede und jeden einzusperren. Es reicht schon, wenn man einen Teil der Widerständler verhaftet und verhört. „Alle Menschen verschwinden nacheinander“, sagt Umut einmal, „Jeder für sich. Es ist so, als wäre niemand mehr übrig, den ich kenne.“

In Nuran David Salis’ bei allem politischen Tiefgang sehr unterhaltender Inszenierung werden auf der Bühne weder Protestaktionen noch Polizeieinsätze gezeigt. Sie vermitteln sich in den Dialogen der vier Bühnenfiguren, im Spiel des dreiköpfigen Ensembles und in der klaustrophobischen Atmosphäre, die das Bühnenbild von Irina Schicketanz evoziert: Hinter den Glaswänden erkennt man links Umuts Zimmer in Istanbul, rechts Janinas Berliner Behausung. Im Hintergrund erzeugen riesige Zimmerpflanzen – der Park – und immer wieder aufquellende Nebelschwaden – das Tränengas – eine Treibhausatmosphäre, aus der es kein Entkommen gibt.

Über der Bühne werden per Video die Sprach- und Bildbotschaften und andere Handyaktivitäten der beiden Frauen eingeblendet. Die junge kosmopolitische Generation orientiert sich eben global und vernetzt sich übers Smartphone. Entsprechend zeigen sich weder in der Kleidung der beiden noch im Interieur ihrer Wohnungen kulturelle Unterschiede. Dank Bühnenbild lässt sich schnell hin und her switchen zwischen den Zimmern in Berlin und Istanbul, wo sie sich gegenseitig besuchen, tanzen, trinken, reden, sich lieben. Wo Janina vor Sehnsucht nach der Abwesenden fast zergeht, oder wo Umut von ihrem besten Freund, dem schwulen Parkbesetzer Ahmet, erfährt, dass er sie an die Polizei verraten hat. Er ist ein gebrochener Mann, nachdem er das Gefängnis verlassen hat, trägt jetzt den Kaftan alter, reaktionärer Männer. Valentin Richter spielt den Traumatisierten ungeheuer einfühlsam, wie er dann auch in der Rolle der politisch höchst aktiven Transgenderfrau Deniz mit ihrem Aufsehen erregenden Auftritt in Glitzer-Teufel-Outfit brilliert.

Die Handlung springt zwischen den Sommern 2013 bis 2018 hin und her – zwischen Gezi-Park, Janinas und Umuts Beziehungsjahrestag und der Istanbuler CSD-Demo für Geschlechtervielfalt, die trotz Verbots jedes Jahr durchgeführt und dann von der Polizei brutal niedergeschlagen wird.

Celkan reflektiert in „Last park standing“ das Öffentliche im Privaten. Und die große Frage, die sich viele jüngere Menschen in der Türkei immer wieder stellen müssen, wird sehr klar beantwortet: Verlasse ich dieses Land? Bleibe ich? Wie die Autorin blieb, so bleibt auch Umut. Sie ist nicht in der Lage, ins Berliner Exil zu ziehen, um dort traute Zweisamkeit in Freiheit zu genießen. Verantwortungsbewusstsein, Solidarität mit den politisch Aktiven und die Liebe zum Land machen es ihr unmöglich zu fliehen. Dort in Berlin sei für sie „alles wie von Schimmel überzogen“, sagt sie einmal. „Alles ist immer genau an seinem Platz. Die Zeit fließt da nicht.“ Wo für Umut die Zeit stehenbleibt, entsteht ihr ein Vakuum. Da kann es eine nicht aushalten, die verändern und kämpfen will. Es gibt für sie kein richtiges Leben im falschen.

Umut ist eine starke Bühnenfigur, und die phänomenale Josephine Köhler spielt sie überzeugend: diese ungebrochene Kraft einer Widerständigen. Müde, verzweifelt, zerrissen zwar, aber doch immer sehr entschieden und tatkräftig – auch in Sachen Liebe. Janina dagegen, die von Anne-Marie Lux als etwas oberflächliches Partygirl gezeichnet wird, ist zu unpolitisch, um sich in Umuts Situation wirklich hineinzudenken. In Sorge um Umut ist sie stets, aber die Tragweite ihrer Lebensumstände kann sie kaum ermessen. Als Astrophysikerin in Lohn und Brot repräsentiert Janina ein westliches, jung-feministisches Hedonistinnentum: sichtbar im stylischen Outfit aus Adidas-Trainingshose, Springerstiefeln, pinker Bomberjacke (Kostüme: Geraldine Arnold), im coolen Jargon, im lustbetonten Erleben. „Ich will mich nicht immer schuldig fühlen“, sagt Janina einmal, „wenn wir mal ein bisschen Spaß haben. Du bist hier. Distanzier dich doch mal ein bisschen von den ganzen Sachen.“ Da tun sich Gräben auf, die nicht zu überwinden sind. Aber das Stück endet gar nicht so melancholisch. Es schaltet einfach zurück an den Anfang, in die erste Liebesnacht im Zelt im Gezi-Park, als unter Sternschnuppen noch alles möglich war. Umut bedeute „Hope“, liest man auf der Videoleinwand. Und sie, die Hoffnung, stirbt bekanntlich zuletzt.

Die nächsten Vorstellungen im Kammertheater: 11. Januar (19 Uhr), 12. Januar (20 Uhr), 13. Januar (20 Uhr).