Christian A. Koch und Cathrin Zellmer erinnern an ein ganzes Leben. Foto: Björn Klein - Björn Klein

Gerade der unauffällige Protagonist aus einem abgeschiedenen Alpental wird zum Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts.

EsslingenManche Romane flutschen leicht auf die Bühne. „Ein ganzes Leben“ von „Trafikant“-Autor Robert Seethaler zählt nicht zu ihnen. „Der Text lebt von Beschreibungen der Lethargie seines Protagonisten“, sagt Marcus Grube, Chefdramaturg der Esslinger Landesbühne (WLB). Theatralisierung drängt sich, gelinde gesagt, nicht unmittelbar auf. Da ist sich Grube mit dem Regisseur Klaus Hemmerle einig. Trotzdem hat an diesem Freitag Hemmerles Inszenierung des Romans Premiere im Podium 1 des Esslinger Schauspielhauses. Wie das? Nicht als theatralische Kraftprobe, um die Mittel der Bühne noch am möglichst unmöglichen Objekt zu erproben. Sondern: Weil gerade dieser „großartige und scheinbar einfache Text“, so Hemmerle, elementare Theaterwirkung entfalten könne: einen „sinnlichen Mehrwert“, der über eine szenische Lesung hinausgehe. „Seethaler ist ausgebildeter Schauspieler, und das merkt man der Rhythmik und den Impulsen auch seiner Prosa-Sprache an“, erklärt der Regisseur. „Gedankenwechsel etwa erfolgen genau in dem Moment, der auf der Bühne der richtige wäre.“ Genau diese unsichtbare Theatralik will Hemmerles Inszenierung sichtbar machen: in der Lebenserzählung des Andreas Egger, eines „einfachen Mannes“, geboren Anfang des 20. Jahrhunderts. Als kleines Kind hat er die Mutter verloren, danach verbringt er sein ganzes weiteres Leben in einem Alpental. Er verliebt sich in Marie, die kurz vor der Hochzeit bei einem Lawinenunglück stirbt und ihn doch – in der Vorstellung – bis zu seinem eigenen Tod begleitet. Egger ist Hilfsknecht und Arbeiter beim Bergbahnbau, er meldet sich freiwillig, als der Krieg beginnt, wird nicht genommen, landet schließlich doch an der Ostfront.

Dieses ganze Leben ist ein Ausbund an Normalität, so normal, dass es schon wieder außergewöhnlich ist. Egger, der Unauffällige, wird zum Zeitzeugen des 20. Jahrhunderts; und damit einer Moderne, die auch dem abgeschiedenen Tal ihre Spuren einzeichnet: sensationslos, aber umso deutlicher lesbar.

Hemmerle will sich in seiner Inszenierung um die erzählerischen Passagen nicht herummogeln. Im Gegenteil: Es gibt Erzählstimmen vom Band, die von den beiden Schauspielern Cathrin Zellmer und Christian A. Koch live aufgegriffen und dann in den verschiedenen Rollenfiguren ausagiert werden. Genau auf diese Momente kommt es dem Regisseur an: auf das Ereignis, „wenn das Wort Fleisch wird“, also in die leibhaftige Bühnenperson umschlägt. Der biblisch hohe Ton in Hemmerles Worten kommt nicht von ungefähr, denn im Roman selbst gehe es „auf bescheidene Weise um die ganz großen Fragen“, sagt der Regisseur: „Warum lebe ich überhaupt, und zu welchem Ziel und Ende?“ In der Kargheit der Figuren, ihrer Sprache und ihres Lebens scheine – unaufdringlich und undogmatisch – das ganz Andere auf: die spirituelle Dimension.

Die Premiere beginnt an diesem Freitag, 20 Uhr, im Podium 1 des Esslinger Schauspielhauses. Die nächsten Vorstellungen folgen am 2. und 4. April, 8., 11., 15., 29. und 31. Mai.