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Das Komik- und Musikgenie Helge Schneider beweist am Faschingsdienstag in Stuttgart: Seine größte Leistung besteht darin, die Narrenfreiheit perfektioniert zu haben.

StuttgartBei der Zugabe lobt er den Beethovensaal der Liederhalle. Besonders die Betonwand: „Hätte ich selbst nicht besser machen können! Das ganze Gebäude erinnert mich so an meinen Tischtennisraum!“ Dann geht er winkend von der Bühne, der Saal jubelt. Helge Schneider kann so was bringen. Die Auftritte des Mannes aus Mülheim an der Ruhr am Faschingsdienstag in Stuttgart haben Tradition. Sein Folgeauftritt am Aschermittwoch ebenso. Die Fans kommen immer wieder zu diesen beiden Terminen. Der 63-Jährige gibt ihnen Halt in unruhigen Zeiten, in denen Komik zum Politikum avanciert, wenn christliche Parteivorsitzende im Saarländischen Rundfunk offen Minderheiten diskriminieren. Über Helge, so viel ist zumindest klar, darf man immer lachen.

Und dann noch großartiger Jazz

Auf dem Umzug am Dienstagnachmittag wäre er nicht aufgefallen. Was für andere in die jecke Zeit gehört, ist für ihn Alltag. Perückenmähnen, übergroße Hüte, bunte Masken: Jeden seiner vielen Auftritte flankieren derlei Requisiten. Und natürlich seine Band: Thomas Alkier spielt Schlagzeug, Ira Coleman den Kontrabass, Henrik Freischlader sitzt an der Gitarre. Zwischendurch schneien noch der Experte für Blasinstrumente, Carlos Boes, und der unnachahmliche Ausdruckstänzer und Struwwelkopp Sergej Gleithmann vorbei.

Helge Schneider und seine Truppe fabrizieren nicht nur Nonsens, sondern auch großartigen Jazz. Sie harmonieren perfekt, obwohl das keineswegs selbstverständlich ist bei einem so unberechenbaren Frontmann. Selbiger bringt mit kreisenden Hüften, großen Gesten und ulkigem Gang nicht nur seine Gäste, sondern auch den Schlagzeuger Alkier fortwährend zum Lachen. Dazu trällert er Zeilen, die in Radio und Disco omnipräsent sind: „Dance to the music!“ oder „Move your body!“ Darin steckt mehr Kritik an der ewig elenden Popkultur und ihrer Inhaltsleere als in jedem Feuilletonartikel.

Sein Unsinn offenbart das Sinnlose. So kann man es sehen. Muss man aber nicht. Man kann sich auch einfach nur an der blanken Albernheit, der hervorragend konzertierten Show erfreuen. Dieser Interpretationsspielraum ist sicher eines der Erfolgsrezepte der singenden Herrentorte.

Vom Erfolg manchen Titels scheint er hingegen genervt: „Telefonmann“, einen seiner größten Hits, nuschelt er vor der Pause in Windeseile ins Mikro. Man stelle sich vor, die Scorpions erlaubten sich das mit „Wind of Change“. Das „Katzenklo“ gibt’s ebenfalls nur für ein paar Sekunden als Zugabe, die Zuschauer müssen den Text auch noch selbst singen.

Die Kunstfigur Helge Schneider steht über den Konventionen. „Die Leute fotografieren immer mit dem Telefon, das geht mir dermaßen auf den Sack!“, kann er beispielsweise ungeniert in die erste Reihe rufen. Die Gunst seines Publikums ist ihm ohnehin gewiss. Diesem Charme erliegt jede Stadt: „Stuttgart gefällt mir immer sehr gut. Wenn man herkommt, denkt man immer: Boa ey! Hey! Hey! Hey! Kompliment.“ Und: „Menschen aus Stuttgart haben’s nicht weit nach Stuttgart – das ist das Schöne an Stuttgart!“ Selbst über seine Umweltsünden sieht man gern hinweg.

Perfektionierte Narrenfreiheit

Nach einem flotten Klaviersolo und einem Schluck aus der Plastikflasche befindet er: „Und nachher, wenn sie leer ist: Ab ins Meer! Da entsteht dann ein neuer Kontinent!“ Was er wirklich über die Welt denkt, wird man bei seinen Auftritten nie erfahren. Alles, was er von sich gibt, ist ins Unendliche ironisch gebrochen. Es sind Sätze wie: „Erol Sander und Andreas Bourani – das sind meine Vorbilder, weil Dr. Brinkmann nicht mehr lebt.“ Helge Schneider ist die oberste Metaebene. Nach ihm folgen keine Ironie-Layer mehr. Bei all seinen Leistungen ist das die größte: Er hat die Narrenfreiheit perfektioniert.

Wie auch seine musikalischen Fähigkeiten. An Piano, Gitarre und Trompete sieht und hört man ihn häufig, aber genauso lässig bedient er längst auch Saxofon und Cello. Während andere sich für so viel Talent von Australien bis Zypern feiern ließen, verkündet er: „Das nächste Lied ist auch wieder mit Musik!“ und hopst weiter zum Xylofon.

Es soll Menschen geben, die sich fragen, was an Helge Schneider eigentlich lustig sein soll. Heute noch. Oder wie um alles in der Welt man diesen Wahnsinn als Zuschauer bloß zweieinhalb Stunden aushalten kann. Die Frage, die sie sich eigentlich stellen sollten, ist aber eine andere: Wie kann man den Wahnsinn dieser Welt nur ohne Helge Schneider aushalten?