J.R. Bechtle spiegelt in seinem Roman „Burgkinder“ fünf Jahrzehnte Nachkriegsgeschichte. Foto: Verlag - Verlag

J.R. Bechtles Roman „Burgkinder“ handelt von zwei schicksalhaft verbundenen Familien der Nachkriegszeit.

EsslingenErika, Schwiegertochter des deutschen Erfolgsschriftstellers Hermann Fürst, und Rob, Sohn der jüdisch-amerikanischen Unternehmerfamilie Wiseman, lernen sich 1945 während der Schlacht um die Brücke von Remagen kennen: Der junge Leutnant Rob quartiert das Frontlazarett der Amerikaner in der Oberen Burg ein, dem Familiensitz der Familie Fürst.

Eine seltsame Anziehungskraft fesselt Rob an Erika, deren Mann auf Seiten der Deutschen im Krieg kämpft. Eine gemeinsame Nacht wird nicht ohne Folgen bleiben. Rob geht zurück nach Amerika, heiratet, ist beruflich sehr erfolgreich, steigt aber irgendwann aus und macht sich selbstständig. Als eines Tages Friedemann Fürst, Erikas Sohn, als Galerist in Amerika sein Glück versucht und Rob Grüße übermittelt, ahnt der, dass Friedemann sein Sohn sein könnte. Friedemann schätzt den klugen Rat Robs, der ihm anbietet, ihn bei seiner Galerie-Gründung zu unterstützen. Viel gemeinsame Zeit freilich bleibt den beiden nicht. Das Schicksal, das diese beiden Familien miteinander verbunden hat, hat anderes mit ihnen vor.

In drei großen Zeitsprüngen folgt J.R. Bechtle in seinem neuen Roman „Burgkinder“ den Fürsts und den Wisemans bis ins Jahr 1999. Bechtle, promovierter Jurist und im Rheinland aufgewachsen, hat einen Teil seiner Jugend in Esslingen verbracht, war später mit einer Unternehmensberatung erfolgreich, lebt heute in San Francisco und pflegt seine Leidenschaften: das Laufen und das Schreiben. In seiner Altersklasse hat er die Marathonläufe in Boston, Chicago, New York und Berlin gewonnen.

Nach „Hotel van Gogh“ und „1965 – Rue De Grenelle“ ist mit „Burgkinder“ nun sein dritter Roman erschienen, für den er sich von der eigenen Familiengeschichte inspirieren ließ. Vorbild für den Schriftsteller Hermann Fürst war J.R. Bechtles Großvater väterlicherseits: Rudolf Herzog, mittlerweile in Vergessenheit geraten, in der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg jedoch einer der meistgelesenen Schriftsteller Deutschlands. Anfangs dem Kaiserreich treu und Wilhelm II. in Freundschaft verbunden, später engagiert im Arbeiter- und Soldatenrat, sympathisierte er in der Weimarer Republik mit den Nationalsozialisten.

„Jeder hat ein Geheimnis“, heißt es im Roman. Die Hintergründe, die Zusammenhänge und die Wahrheit liegen nicht immer auf der Hand. Vieles in der gemeinsamen Geschichte der Fürsts und der Wisemans löst J.R. Bechtle auf, einiges deutet er nur an, und das ein oder andere überlässt er auch Empathie und Fantasie seiner Leser. Genau das ist es, was die Lektüre interessant macht. „Burgkinder“ ist einfühlsam beobachtet und spannend erzählt, immer wieder schlägt das Schicksal überraschende Volten. Es geht um Mut und Schwäche, Hass und Liebe, Planbarkeit und Unvorhersehbarkeit. Vieles im Leben ist Zufall, manches muss man aber auch in die eigene Hand nehmen. „Dieses Gefühl, wie einen das Leben weiterschiebt“, lässt J.R. Bechtle Rob Wiseman formulieren, wohl wissend, dass die Geschichte in die Gegenwart hineingreift und dass die Vergangenheit lebendig bleiben muss, damit man in der Zukunft bestehen kann.

J.R. Bechtle: Burgkinder. Frankfurter Verlagsanstalt. 480 Seiten, 24 Euro.