Helmut Lotti hat seinen Frieden damit gemacht, dass er in erster Linie als Cover-Sänger gefragt und gefeiert wird. Foto: Jens van Zoest Quelle: Unbekannt

Stuttgart -Beim Interview-Termin vor wenigen Tagen in Stuttgart war Helmut Lotti noch gut bei Stimme. Eigentlich hätte der belgische Tenor am Samstag in der Liederhalle sein Stuttgarter Comeback-Konzert geben sollen - krankheitsbedingt muss der Auftritt nun auf den 27. Oktober verschoben werden. Im Gespräch äußert sich der 47-jährige Sänger und Entertainer über seine mehrjährige Bühnenpause, über zerbrechliches privates Glück, seine Karriere und sein neues Album.

Sie haben sich 2011 von der Bühne zurückgezogen. Was war der Grund für Ihre mehrjährige Pause? War Sie geplant?

Lotti:Ehrlich gesagt hat der Ausstieg zwei Jahre zu lange gedauert, aber ich habe diese Zeit für das neue Album eben gebraucht. Ja, die Pause war geplant. Mein Plattenvertrag lief aus, und ich nutzte das, um mir eine Auszeit zu nehmen. Das war auch nötig, denn während ich auf der Bühne die ganzen Jahre sehr erfolgreich war, ist privat einiges falsch gelaufen. Ich wollte mir Zeit nehmen, um darüber nachzudenken und manche Dinge in meinem Leben neu zu ordnen.

Sie meinen: in Ihrem Beziehungsleben?

Lotti:Ja. Ich hatte mein Privatleben eigentlich nie richtig im Griff und ich dachte lange Zeit, dass das wohl vor allem mit dem Tourleben, also dem vielen Herumreisen zu tun hatte. Heute weiß ich, dass es überhaupt nichts damit zu tun hatte, sondern dass das Problem vor allem bei mir selbst lag.

Inwiefern?

Lotti:Ich habe mich eigentlich immer meiner Partnerin angepasst. Und wenn Probleme auftraten, neigte ich dazu, diese beiseite zu schieben. Ich dachte, sie lösten sich von selbst oder ich könnte damit schon irgendwie leben. Heute weiß ich, dass mit dieser Haltung alles nur schlimmer wird.

Sie haben sich im vergangenen Herbst von Ihrer dritten Frau getrennt. Glauben Sie noch an die große Liebe im Leben?

Lotti:Ja, natürlich. Ich denke, wir alle glauben daran, sonst würden wir uns nicht wieder auf neue Beziehungen einlassen. Und ich sehe Beispiele in meiner Umgebung, die zeigen, dass das tatsächlich geht - nicht nur bei alten Leuten oder solchen, die sich aus finanziellen Gründen nicht trennen. Man ist nie zu alt, um Sachen zu erleben, die man nie erwartet oder für möglich gehalten hatte - auch nicht mit 60 oder 70 Jahren. Das ist doch das Schöne am Leben, dass es voller Überraschungen ist, für die wir offen bleiben sollten.

Sie hatten viel Zeit, auch um Zwischenbilanz zu ziehen. Was würden Sie heute anders machen?

Lotti: Ich glaube, selbst wenn ich gewusst hätte, was ich heute weiß, würde ich es als junger Künstler ungefähr wieder so machen, wie ich es damals gemacht habe. Aber ich würde ganz bestimmt nicht mehr als 19-Jähriger über mein Privatleben in der Öffentlichkeit reden. Wenn man das von Anfang an konsequent ablehnt, wird das akzeptiert, aber jetzt kann ich nicht mehr zurück. Ich war einfach zu naiv. Aber ohne ein gewisses Maß an Naivität und Offenheit könnte ich als Künstler auch nicht der sein, der ich bin, und hätte nicht das erreicht, was ich erreicht habe. Jede Medaille hat zwei Seiten. Aber alles in allem bin ich ganz glücklich, wie mein Leben bisher verlaufen ist, und fühle mich heute sehr wohl.

Wann haben Sie sich zum Comeback auf internationaler Bühne entschieden?

Lotti: Ich hatte zwischenzeitlich sogar darüber nachgedacht, ob ich überhaupt noch international etwas machen wollte, aber ziemlich schnell gemerkt, dass ich schlichtweg zu wenig Arbeit hätte, wenn ich nur in Belgien auftreten würde. Ich habe zwei Jahre lang an einem Album gearbeitet und bin damit durch Flandern getourt. Und wenn dann nach 30 Konzerten in kleineren Kulturzentren schon wieder Schluss ist, ist das schon ein bisschen frustrierend. Da war mir klar: Ich muss wieder auf Englisch singen. Und ich wollte auch wieder mit einem größeren Orchester auftreten.

In Ihrem „ersten“ Sängerleben waren Sie vor allem als Cover-Spezialist gefragt und weniger als Interpret Ihrer eigenen Lieder. Machen Sie nach Ihrem Neu-Start künstlerisch nur noch das, worauf Sie Lust haben?

Lotti:Das ist unrealistisch. Es heißt nicht umsonst: Show-Business. Auch meine Kunst ist am Ende ein Geschäft. Freiheit gibt es da nur sehr limitiert. Die Realität ist: Auch in Deutschland ist in erster Linie der Cover-Sänger Lotti gefragt. Ich habe jahrelang vergeblich dafür gekämpft, das zu ändern. Das Ding ist: Ich habe meinen Frieden damit gemacht. Heute kann ich mit voller Überzeugung wieder an die Cover-Sachen gehen, ohne darüber frustriert zu sein, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, zuhause zu sitzen und nur Dinge zu machen, die einem gefallen. Da kann man dann irgendwann nur noch in seiner Badewanne singen - und das ist nicht unbedingt mein Ziel; dafür stehe ich ehrlich gesagt einfach zu gerne auf der Bühne.

Sie treten inzwischen ohne Toupet auf. Wie fühlt es sich an „oben ohne“?

Lotti: Das Toupet war eine Idee meines Managements. Man dachte wohl, das sei karrierefördernd. Ich selbst fand das Haarteil von Anfang an grässlich und habe mich offen gesagt keinen Tag wohl gefühlt. Es hat jeden Tag eine Dreiviertelstunde gebraucht, bis das Teil perfekt saß, und pro Woche hatte ich im Schnitt zwei Alpträume deswegen.

In den Medien und sozialen Netzwerken wurde Ihr Aussehen ausführlich thematisiert. Zum Schwiegermutter-Traumbild gehört offenbar der Helmut Lotti, wie man ihn von früher kannte - hat Sie das irritiert?

Lotti:Ich finde es ein bisschen komisch, dass die Medien erst jetzt darüber so ausführlich schreiben, obwohl ich schon auf der letzten Tour kein Toupet mehr trug. Ich habe überhaupt keine Probleme damit, meine Haare zu verlieren - auch wenn die Welt damit ein Problem haben sollte. Und wenn es den Leuten nicht passt, wie ich heute aussehe, sollen sie sich halt einen Gigolo einladen. Ich bin Sänger.

Ein erfolgreicher und reicher. Leisten Sie sich ein luxuriöses Leben?

Lotti:Nein, absolut nicht. Ich reise gerne, mag gutes Essen und gebe auch Geld für Kleidung aus. Aber ich bin überhaupt nicht der Typ, der das Geld zum Beispiel für teure Autos zum Fenster hinauswirft. Luxus ist für mich, dass ich mir über Geld keine Sorgen machen muss. Aber auch für mich ist weiterhin Geld nur ein Mittel - kein Ziel.

Auf Ihrem neuen Album machen Sie sich - auch mit eigenen Liedtexten - intensiv Gedanken über Glaube, Liebe und Hoffnung.

Lotti: Ich wollte bei meinem Comeback etwas Anspruchsvolles machen. Es ist in den letzten Jahren so viel mit den und im Namen der Religionen passiert, da dachte ich mir, ich möchte auch etwas darüber erzählen.

Wie halten Sie es mit der Religion?

Lotti: Ich bin katholisch getauft, aber ich würde mich heute eher als Agnostiker bezeichnen. Ich schließe aber nicht aus, dass es einen Gott gibt, und ich habe auch schon zu viel erlebt in meinem Leben, was kein Zufall sein kann. Sagen wir es so: Ungläubig bin ich nicht - und ich glaube schon, dass uns Dinge auf unseren Weg gelegt werden, aus denen wir etwas Gutes oder Schlechtes machen können.

Das könnte Papst Franziskus durchaus unterschreiben.

Lotti:Ja, der ist ganz toll. Er wirkt sehr menschlich und glaubwürdig. Als ich den das erste Mal gesehen habe, als er nach seiner Wahl auf den Balkon des Petersdoms trat, da habe ich gleich gedacht: Der ist okay. Ich finde schon, dass wir in der heutigen Welt dringend moralische Orientierung brauchen. Und Religion kann das einigermaßen geben. Aber ich möchte nicht, dass eine Organisation mir vorschreibt, wie ich mein Privatleben zu führen habe.

Sie treten in vielen europäischen Ländern auf. Fürchten Sie, dass das Projekt Europa scheitern könnte?

Lotti: Ich habe keine Ahnung. Die Sonne wird jeden Tag wieder aufgehen, aber ich glaube nicht, dass die Nationalstaaten wieder aufeinander losgehen, falls die Europäische Union auseinanderbrechen sollte.

Fühlen Sie sich auch als Europäer?

Lotti:Ich bin Belgier - und Belgien liegt in Europa. Ich brauche keine europäische Identität, sondern eigentlich nur zu wissen, wer ich bin und wer die Leute sind, die mich lieben.

Und wer, meinen Sie, sind Sie?

Lotti: Ich glaube, ich bin ein ernsthafter Lausbub.

Das Interview führte ThomasKrazeisen.

Das für Samstag geplante Konzert wird am 27. Oktober in der Stuttgarter Liederhalle nachgeholt. Bereits erworbene Karten behalten ihre Gültigkeit. Es gibt noch Tickets an allen bekannten Vorverkaufsstellen.