Hossein (links) und Ahmad unterhalten sich mit Dan Siebold (Mitte) am „Familientisch“ Foto: Rapp-Hirrlinger - Rapp-Hirrlinger

Dass der Flüchtling bei Dan Siebold einzog, war als Übergangslösung gedacht. Dann kam auch noch Ahmad dazu. Jetzt bilden die drei eine außergewöhnliche WG.

DenkendorfSie seien eine Art Zwischending zwischen Wohngemeinschaft und Familie, sagt Dan Siebold. Der 65-Jährige wohnt seit gut zwei Jahren in Denkendorf zusammen mit Ahmad (23) und Hossein (25), die aus Syrien und Iran geflüchtet sind. Ihre Namen sind geändert.

Der Impuls, sein Haus zu öffnen, kam durch einen Notfall. Siebold, der sich im Denkendorfer Betreuungskreis Flüchtlinge engagiert, erfuhr von einem Konflikt in der Flüchtlingsunterkunft. Dass Hossein bei ihm einzog, war als Übergangslösung gedacht. „Eigentlich wollte ich mein Haus verkaufen, weil es für mich allein zu groß war“, erzählt der Witwer, dessen erwachsene Kinder längst ausgezogen sind. Doch dann sprach ihn Ahmad an. Siebold bot ihm an, ebenfalls einzuziehen. Der Syrer „suchte eine Familie, um möglichst viel Deutsch zu sprechen“. Das Konzept ging auf. Ahmad und Hossein sprechen inzwischen sehr gut Deutsch. Ahmad macht eine Ausbildung als Anlagenmechaniker. Hossein, der in seiner Heimat im Handwerk und Verkauf gearbeitet hat, besucht das Abendgymnasium in Stuttgart. Er träumt von einer Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Auch ihm gefällt der familiäre Charakter der WG.

„Das WG-Leben war für mich relativ neu, aber alles klappt bestens“, sagt Siebold. Doch schon wegen des Altersunterschieds seien sie keine klassische WG. Jeder hat sein eigenes Zimmer, alle weiteren Räume werden gemeinsam genutzt. Was in anderen WGs zu Konflikten führt, funktioniert scheinbar reibungslos. Samstags wird geputzt. „Das geht ganz ohne Putzplan“, betont Siebold.“ Ist einer mal nicht da, holt er seinen Teil an einem anderen Tag nach. Putzmittel oder Toilettenpapier besorgt Siebold: „Das ist in der Miete enthalten.“ Wäscht einer seine Wäsche, fragt er die anderen, ob sie etwas dazulegen wollen. Seine Einkäufe erledigt jeder selbst und jeder kocht auch für sich. „Ich koche immer mehr, falls jemand Hunger hat“, sagt Ahmad, der in seiner Heimat neben dem Lehramtsstudium einige Jahre in der Gastronomie jobbte. Die beiden Mitbewohner greifen dann gerne zu. „Ahmad ist der beste Koch von uns“, sagt Siebold.

Auch vieles andere wird geteilt, was auf dem Tisch liegt, „darf jeder nehmen“, sagt Siebold. Der Inhalt der persönlichen Boxen in der Küche sei für die anderen tabu. Häufig werde gemeinsam gefrühstückt. Ansonsten lassen sie sich ihre Freiräume: „Wir sind nicht immer zusammen, wenn wir zuhause sind“, sagt Ahmad. Ihre Freunde haben die jungen Männer meist außerhalb Denkendorfs. Gemeinsame Aktivitäten gebe es eher wenig, jeder gestaltet sein Leben selbstständig. „Aber im Sommer grillen wir manchmal zusammen“, erzählt Ahmad. „Wir haben zwar einen unterschiedlichen Lebensstil, aber wir haben Toleranz“, betont Hossein.

Es sei nicht nur schön, in einem fremden Land jemanden zu haben, der eine Art Familienersatz ist, sondern auch, mit Menschen aus anderen Ländern zusammen zu leben, sagt Hossein. Dan Siebold will nicht in die Vaterrolle schlüpfen, er versteht sich eher als Unterstützer, der auch mal bei bürokratischen Dingen hilft, aber seine beiden Mitbewohner sagen: „Er ist wie unser Papa.“

Die kulturellen Unterschiede wiegen nicht schwer. „Die Ähnlichkeiten sind weit größer als die Unterschiede“, sagt Siebold. Wenn sie am Tisch zusammensitzen, sprechen sie auch über die jeweiligen Kulturen und die Religion. „Ich lerne viel von den Jungs, über ihre Heimatländer, ihr Alltagsleben und den Islam“, sagt Siebold. Auch er profitiere von der WG: „Das Leben ist nun bunt, es ist Leben im Haus, wie früher, als wir noch als Familie hier gewohnt haben.“ Nicht allein im Haus zu sein, könnte auch für andere gut sein, meint er. Er weiß von vielen Leerständen in Denkendorf, aber auch von großen Vorbehalten, Flüchtlinge aufzunehmen. Oft wohnten ältere Frauen alleine in Häusern, Sie hätten aber Angst zu vermieten. 50 bis 60 Geflüchtete sind privat in Denkendorf untergebracht. „Es gibt sehr wenige Probleme mit Menschen anderer Kultur“, weiß Siebold aus der Flüchtlingshilfe. „Ich will anderen Mut machen, diesen Schritt zu gehen.“ Doch dazu müssten sich Flüchtlinge und Denkendorfer intensiver kennenlernen. „Viele Leute wissen wenig über Iran oder Syrien“, sagt Hossein. In seinem Heimatland gingen die Menschen viel mehr aus ihren Häusern hinaus. In Deutschland blieben sie gerne für sich.

Dass jemand Angst hat zu vermieten, versteht Ahmad nicht. „Sie sollten Angst haben, wenn sie alleine sind, wenn ein Einbrecher kommt, sie einen Unfall haben oder krank werden. Dann ist es doch gut, wenn jemand im Haus ist.“ Siebold hat das erlebt: Als er mit Malaria aus Afrika zurückkam, versorgten ihn seine Mitbewohner. Hossein: „Es ist schlimm, wenn man anderen nicht vertrauen kann.“

Wer überlegt, Wohnraum an Geflüchtete zu vermieten, kann sich an Dan Siebold wenden, Telefon 0711/346 06 44 oder Kontakt aufnehmen über https://fluechtlingshilfe.indenkendorf.de