Bis zu 180 Menschen mit geringem Einkommen kaufen jeden Tag in der Fildertafel in Bernhausen ein. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Nach der bundesweiten Diskussion um die Essener Tafel schaut man auch nach Esslingen. Trotz anfänglicher Schwierigkeiten wird dort nicht nach Herkunft aussortiert.

Kreis EsslingenArm ist arm. Bei uns wird niemand bevorzugt.“ Tanja Herbrik, Fachbereichsleiterin Armut und Beschäftigung im Kreisdiakonieverband (KDV), spricht für alle sechs Tafeln im Landkreis Esslingen (siehe Info-Box). Bei den Menschen, die hier Lebensmittel kaufen, werde nicht nach Herkunft unterschieden. Damit grenzt sich Herbig ab von der Essener Tafel, die vor Kurzem in die Schlagzeilen geraten war, weil wegen des massiven Andrangs von Flüchtlingen ein vorläufiger Aufnahmestopp für Menschen ohne deutschen Pass verhängt worden war. „Die Art und Weise, wie in Essen reagiert worden ist, war nicht hilfreich“, kritisiert Eberhard Haußmann, KVD-Kreisgeschäftsführer und Vorsitzender der Liga der Freien Wohlfahrtspflege. „Bei uns ist nur das Einkommen entscheidend.“ Jeder Tafel-Kunde müsse seine Bedürftigkeit nachweisen. Ansonsten sei er nicht berechtigt einzukaufen.

Seit die Hartz IV-Gesetze 2005 in Kraft getreten sind, sei die Zahl der bedürftigen Menschen rapide gestiegen, berichtet Haußmann. Seither hätten auch die Tafeln deutlich mehr Zulauf. Mit der Flüchtlingskrise habe sich das Problem nochmals verschärft. 2016 sei der Andrang am größten gewesen. Natürlich habe es anfangs Probleme gegeben, berichtet Sven Parylak, Bereichsleiter der Caritas Fils-Neckar-Alb. Beispielsweise in Wernau, wo mit einem Schlag viele Flüchtlinge untergebracht werden mussten. Aber man habe stets auf eine gerechte Verteilung der Lebensmittel geachtet. Tanja Herbrik führt die anfänglichen Schwierigkeiten vor allem auf Verständigungsprobleme zurück. Sprachbarrieren seien das eine gewesen. Hinzu sei die Unkenntnis über das Prinzip der Tafel gekommen. „Die Regel, wie man hier was bekommt, kannten die Menschen aus ihren Kulturkreisen einfach nicht“, sagt Herbrik. Deswegen habe man die Einkaufsregeln in verschiedenen Sprachen verfasst und allen Neukunden ausgehändigt. In den Hochzeiten, als das Gedränge vor den Tafeln besonders groß und so manche Aggression spürbar war, habe man nicht nur ordnend eingegriffen, sondern gegen manche Drängler schon mal ein vierwöchiges Hausverbot ausgesprochen. Doch mittlerweile habe sich die Lage entspannt. „Jetzt kennen alle die Bedingungen. Viele Flüchtlinge sind bereit, andere vorzulassen, wenn sie beispielsweise mit Rollator kommen.“

Auch dass immer nur eine begrenzte Anzahl von Kunden in den Verkaufsraum dürfen, hätten mittlerweile alle akzeptiert. In Echterdingen und Nellingen müsse man wegen der Enge eine Nummernkarte ziehen. „Viele kommen halt mit anderen Erwartungen“, hat Klaus Rau, der Geschäftsführer des DRK-Kreisverbands Nürtingen-Kirchheim, festgestellt. „Eine Tafel ist kein normaler Laden. Das muss man den Leuten erklären.“ Die Vorfälle in Essen sieht Rau als „Hilferuf, der in eine falsche Richtung ging“. Mit einem Problem haben alle Tafeln seit einigen Jahren zu kämpfen: Discounter und Supermärkte kalkulieren enger und füllen ihre Regale nur bei Bedarf mit frischen Lebensmitteln auf. Auf diese Weise fallen weniger Waren mit abgelaufenem Verfallsdatum für die Tafeln an. „Backwaren haben wir genug. Aber wir bekommen vor allem weniger Milch, Obst, Gemüse, Mehl, Nudeln oder Reis“, berichtet KDV-Chef Haußmann. Viele Bedürftige seien dankbar, hier günstig einkaufen zu können. „Das hilft ihnen, mit der Armut zurecht zu kommen.“

Zu den Stammkunden in Bernhausen zählt eine 72-Jährige, die wie ihr Mann vor zehn Jahren von der Selbstständigkeit in Hartz IV abgerutscht ist. Hier bekomme sie Sachen, die sie sich sonst nicht leisten könnte, erzählt sie. Aus Dankbarkeit arbeitet sie jeden Montag ehrenamtlich an der Ladenkasse.

Die Not ein wenig lindern, das könnten die Tafeln, sagt Eberhard Haußmann. Doch mit dem Angebot erreiche man längst nicht alle Bedürftigen. Beispielsweise nicht die Rentnerinnen, die sich keine Busfahrkarte leisten können, um von ihrem Dorf zum Tafelladen in der Stadt zu gelangen. Deshalb müssten alle Hartz IV-Empfänger ein Sozialticket erhalten. Tafeln dürfte es nach Überzeugung des KDV-Geschäftsführers gar nicht geben. „Auch arme Menschen müssen finanziell so ausgestattet werden, dass sie normal einkaufen können.“