Ulrike Rostek (von links), Aure-Line Daniel und deren Mutter Agnès Dutreuil – beim Schmökern in alten Fotoalben und Tagebüchern. Foto: Karin Ait Atmane - Karin Ait Atmane

Seit Jahrzehnten pflegen Ulrike Rostek aus Esslingen und die Französin Agnès Dutreuil ihre Freundschaft, die im Schüleraustausch begann. Inzwischen sind die Familien gut befreundet.

EsslingenAm Anfang schien rein gar nichts zu passen. Ulrike Rostek und Agnès Dutreuil fanden in ihren „Steckbriefen“ keinerlei Gemeinsamkeiten, als sie einander beim Schüleraustausch zugeordnet wurden. Sie haben es trotzdem miteinander probiert, vor mittlerweile 24 Jahren – und sind bis heute dicke Freundinnen. Nicht nur sie, auch ihre Familienangehörigen besuchen sich immer wieder gegenseitig, jetzt schon in der nächsten Generation.

Die eine lebte in der Esslinger Pliensauvorstadt, die andere in einem 1000-Seelen-Dorf in der französischen Provinz. Die eine machte mehrmals die Woche Leistungssport, die andere verbrachte ihre Freizeit mit Hund, Katze und Pferd. Die einzige Übereinstimmung war, dass beide einen Bruder hatten – aber selbst der war im einen Fall älter, im anderen jünger. Das war im Jahr 1995 und das Georgii-Gymnasium hatte gerade im Lycée Jay de Beaufort in Périgeux eine neue Partnerschule gefunden. Agnès Dutreuil, die mit der französischen Gruppe zuerst Esslingen besuchte, machte sich trotz des unterschiedlichen Profils keine Sorgen. „Cool, ein großer Bruder“, dachte sie damals und ging davon aus, dass sich der Rest schon fügen werde.

Die Chemie stimmte

Das tat er dann auch, trotz aller kleinen Kulturschocks, die sie erlebte. Am Wochenende nach der Ankunft stand bei Austauschpartnerin Ulrike der Abschlussball der Tanzstunde an – eine Sache, die man in Frankreich überhaupt nicht kannte. Von Ulrike und ihren Freundinnen lieh sich die Französin festliche Kleider zusammen, nur bei den Schuhen gelang das nicht, da musste sie beim eigenen Paar bleiben. Ein bisschen fehl am Platz habe sie sich schon gefühlt, sagt sie heute.

Ein Problem war das dennoch nicht, weil die Chemie mit der Gastfamilie stimmte. Agnès bereitete für alle französische Croque Monsieurs zu, lernte schnell, dass sich deutsche Autofahrer ärgern, wenn man trotz roter Fußgängerampel die Straße überquert und staunte beim Ausflug nach München über Punks mit grüngefärbten Haaren.

Natürlich hatte Ulrike beim Gegenbesuch im französischen Périgueux, der noch im selben Jahr stattfand, ähnliche Erlebnisse. Das Dorf war aus ihrer Sicht höchstens ein Dörfchen, sie lernte alle Tiere persönlich kennen, saß zum ersten Mal auf einem Pferd und macht die Erfahrung, dass man in Frankreich ein ganz anderes Verhältnis zur Zeit und zur Pünktlichkeit hat.

Schon nach den ersten beiden Besuchen beschlossen die Mädchen, künftig jeden Sommer zusammenzukommen, mal in Esslingen, mal im Dorf bei Périgeux. Das haben sie wahr gemacht und einen reichen Schatz an Erlebnissen angesammelt. Beim Erinnern und Erzählen gibt es viel zu lachen. Sie haben witzige Videos gedreht, um die Familien einander vorzustellen, haben nach dem Abitur mit der französischen Dorfclique Urlaub gemacht. „Das war ein Abenteuer“, erinnert sich Ulrike Rostek, die auch mal eine große Sporttasche voller Brezeln im Handgepäck des Flugzeugs mit nach Frankreich nahm. Agnès kann inzwischen Schwarzwälder Kirschtorte, Maultaschen und Spätzle zubereiten – nur der Kartoffelsalat fehlt noch auf der Liste. Starkes hat sie unter anderem gezeigt, wie man Entenbrust oder Foie gras macht. Auch die Eltern und Brüder kommen unabhängig von den beiden immer wieder zusammen. „Mittlerweile ist das ein Austausch zwischen den Familien“, sagt Rostek.

„Von der einen Seite der Grenze oder von der anderen – bei vielem findet man sich wieder“, sagt Agnès Dutreuil. Sie kam auch zu Ulrikes Hochzeit, was die beiden sich schon nach dem zweiten Besuch gegenseitig versprochen hatten. Ihr Partner war nicht begeistert: Er ist Südfranzose und sah das nördlich gelegene Deutschland nicht gerade als Traumziel. Aber er ließ sich überreden und dann auch überzeugen. „Supernette Leute“, stellte er fest. So ging die Geschichte weiter, man hat rund Geburtstage und andere Anlässe miteinander gefeiert und dabei eine Menge über die jeweils andere Kultur erfahren. Für Agnès Dutreuil, die sich auch immer auf „einen Kilometer Wurst“ in deutschen Metzgereien freut, hat das Weihnachtsfest in Deutschland eine besondere Magie, auch, weil es noch stärker christlich geprägt ist als im laizistischen Frankreich.

Die nächste Generation

Aktuell war sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern drei Wochen in Esslingen, wo sie in Starkes Einliegerwohnung unterkamen. Ihre Mädchen sind Teenager, Ulrike Rosteks Tochter ist erst neun. Da stimmen die Interessen auch nicht überein, aber alle drei mögen sich, und Zettel mit Zeichnungen und Wörtern zeugen von gegenseitigen Sprachtraining. Mit Tochter Aure-Line, 16 Jahre alt, steigt jetzt die nächste Generation in den offiziellen Austausch ein. Sie wird im kommenden Jahr eine Schülerin des Georgii-Gymnasiums besuchen. Deren Namen kennt sie zwar noch nicht – aber dass sie auf jeden Fall eine zweite Familie in Esslingen hat, das weiß sie schon.