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Irgendwann wieder zurück nach Italien? Für Vito Magagnino kam das nie in Frage. Seit 1961 lebt der heute 75-Jährige in Deutschland – und ist ausgesprochen glücklich.

OstfildernApril 1961. Den genauen Tag hat Vito Magagnino nach so langer Zeit nicht mehr im Gedächtnis, aber die Szene ist ihm noch sehr präsent: Auf dem Dorfplatz eines kleinen Nests in Süditalien steigt er, damals 17 Jahre alt, in einen Bus, der ihn zusammen mit etlichen anderen jungen Männern für immer fortbringt. Nach Germania. Die Mutter weint bitterlich. Aber sie lässt ihren Sohn ziehen, in eine ungewisse, hoffentlich bessere Zukunft. Wenn der heute 75-Jährige von diesem Tag vor gut 58 Jahren erzählt, treibt es ihm noch immer Tränen in die Augen. Doch so schwer es für den Scharnhausener damals war – bereut hat er es nie, dass er als junger Mann nach Deutschland ausgewandert ist. Ganz im Gegenteil, er hat hier, gut 1500 Kilometer entfernt von der alten Heimat, sein Glück gefunden und würde es, wie er sagt, deshalb genauso wieder machen.

„Geschichte der Mobilität in Ostfildern“ lautete der Titel einer Schau, die die Projektgruppe Geschichte bis Ende Juli im Zentrum an der Halle zeigte. Viele Geschichten wurden darin angerissen, auch die von Magagnino, dem stadtbekannten Italo-Schwaben aus Scharnhausen. Stadtarchivar Jochen Bender und seine ehrenamtlichen Mitarbeiter waren bei ihren Recherchen auf ihn gestoßen, als Beispiel für einen der vielen Gastarbeiter, die in den 60ern im Südwesten gelandet waren.

Zuhause in Süditalien war das Leben schwer und ohne Perspektive. Vitos Vater verdingte sich im apulischen Dorf Matino (Kreis Lecce) als Landarbeiter. Im Zuge der Bodenreform bekam er dank der kinderreichen Familie 1947 rund 20 Kilometer weiter im Kreis Foggia einen Hof mit sieben Hektar Land zugewiesen. „Wir haben Wein, Oliven, Mandeln, Weizen und Baumwolle angebaut“, erzählt Vito. Hunger mussten er und seine sieben Geschwister nicht leiden, trotzdem lebten sie in armseligen Verhältnissen. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre tat sich für viele seiner Landsleute eine Chance auf. Mit der deutschen Wirtschaft ging es steil bergauf, aber es fehlten Arbeitskräfte. Und die fanden sich unter anderem in Italien. Vitos älterer Bruder Rocco ließ sich als Erster aus der Familie anwerben. „Er ging ein halbes Jahr vor mir nach Stuttgart“, berichtet Vito. Im April 1961, nachdem er sich zuvor wie seine Brüder mal da, mal dort als Tagelöhner in der Landwirtschaft ein paar Lira verdient hatte, packte er selbst seinen Koffer. Bei der Firma Gottlob Huss in Stuttgart fand er seinen ersten Job. 2,25 Mark hat er damals pro Stunde als Lohn bekommen. „Ich habe Überstunden noch und noch gemacht“, erinnert sich der 75-Jährige. Die Familie hat sich gefreut: Denn jeden Monat schickte er brav 350 Mark nach Hause, um seine Lieben zu unterstützen.

1963 verschlug es Magagnino nach Scharnhausen. Erst schaffte er beim Bauunternehmen Eisele im Akkord, dann warb ihn der Chef der Firma Ide ab. Was sich beruflich zu einer Verbindung fürs Leben entwickelte. Zunächst verdiente er sein Geld als Arbeiter an der Maschine, später wurde er Fahrer. In Scharnhausen fand Vito aber auch sein privates Glück. Mit seiner Rita baute er sich und den beiden Töchtern ein Heim. Zur Hochzeit im Jahr 1971 reiste außer ein paar Geschwistern nur seine geliebte Mutter nach Scharnhausen. Der Vater musste wegen der Ernte zuhause bleiben.

Im Dorf erwarb sich Vito als tüchtiger und lebenslustiger Kerl schnell Anerkennung. Rasch war er bekannt wie ein bunter Hund. Von Anfang an liebte er die schwäbische Geselligkeit. Die früher sehr erfolgreichen Handballer wuchsen ihm ans Herz, so sehr, dass er sie überall hin begleitete.

Am 28. März 1973 erhielt er vom Landratsamt Esslingen seine Einbürgerungsurkunde. 400 Mark musste er dafür berappen. Doch deutscher Pass hin oder her – den Bezug zu seiner italienischen Heimat hat Vito Magagnino nie verloren, denn im Sommer und zu Weihnachten ging es regelmäßig nach Apulien. Sein älterer Bruder ist bereits gestorben, genauso seine zweitälteste Schwester. Drei aus der Familie hatten ihr Glück in Deutschland versucht, wirklich hängen geblieben in Germania ist aber nur er.

Zurück nach Italien zu gehen, kam für ihn nie in Frage. 2006 nicht, als seine Frau Rita viel zu früh starb, und auch 2009 nicht, als er in den Ruhestand ging. Dazu ist er mit Land und Leuten hier viel zu sehr verhaftet. Das drückt sich schon in seiner Sprache aus, einem witzigen Mischmasch aus Schwäbisch mit italienischem Einschlag. Das Essen liebt er. Und er liebt es, wie die Einheimischen zu kochen. „Seine handgemachten Spätzle sind ein Gedicht“, verrät seine Lebensgefährtin aus Ruit. Sie hat schon viel von der alten Heimat ihres Partners kennengelernt. Jedes Jahr im September geht es für ein paar Wochen nach Apulien. Doch genauso gerne kehrt Magagnino wieder zurück nach Scharnhausen. „Ich habe Glück gehabt in meinem Leben“, sagt der 75-Jährige. „Schon mein erster Kapo, der Lutz, hat mich wie einen Sohn behandelt. Die Leute hier sind immer gut zu mir gewesen.“