„Unsere Anliegen werden einfach ignoriert“, schimpfen lärmgeplagte Anwohner über die Stadt. Foto: Weller - Weller

Seit Ende Juni müssen sich die Anlieger der Neuhauser Straße mit dem Zusatzverkehr herumschlagen, der ihnen durch die Radweg-Baustelle auf dem Körschtalviadukt beschert wird. Die Wut wächst.

OstfildernDie Plage kommt in Schüben, dann aber gewaltig: Auto an Auto quält sich die Neuhauser Straße in Nellingen hoch. Morgens zwischen 7 und 9 Uhr, wenn die Berufspendler unterwegs sind, ist es besonders schlimm. Aber auch von 16 bis 20 Uhr geht man am besten nicht vor die Haustür und schließt alle Fenster. „Die vielen Fahrzeuge, der Lärm, der Gestank – die reinste Katastrophe“, schimpft Anwohnerin Anja Liedl. Seit Ende Juni müssen sich die Anlieger der Neuhauser Straße mit dem Zusatzverkehr herumschlagen, der ihnen durch die Radweg-Baustelle auf dem Körschtalviadukt beschert wird. Ein Großteil der täglich etwa 25 000 Fahrzeuge wird an ihren Häusern vorbeigeleitet. Eigentlich sollte der Spuk längst vorüber sein. Doch dann machte Anfang voriger Woche plötzlich die Mitteilung des Regierungspräsidiums Stuttgart die Runde: An der Brücke seien unerwartet große Schäden aufgetaucht. Die Sanierung verlängere sich um ungefähr sechs Wochen bis Ende November.

In der Neuhauser Straße wächst seither der Groll. Vor allem von der Stadt Ostfildern fühlen sich die Anlieger alleine gelassen. Das umso mehr, seit ihnen Oberbürgermeister Christof Bolay in der Bürgerfragestunde des Gemeinderats mehr oder weniger achselzuckend gegenüber saß: Das sei eine Baustelle des Landes und die liege nicht in der Verantwortung der Stadt. Die Verzögerung sei bedauerlich, aber machen könne man nichts dagegen, so die Botschaft des Rathauschefs. Diese Haltung hat bei vielen Anliegern noch mehr Frust und Empörung erzeugt. „Man hat nicht das Gefühl, dass in irgendeiner Weise etwas gemacht wird“, sagt Karin Tauschek. „Die Stadt interessiert das alles gar nicht. Wir fühlen uns regelrecht im Stich gelassen.“ Sie wohnt ziemlich weit oben in der Neuhauser Straße, wo vor einer Woche ein riesiger Baukran aufgestellt wurde, der in die Fahrbahn hineinragt und damit die Situation nochmals verschärft hat. Am Kran ist die Straße auf eine Spur verengt, der Verkehr wird mittels einer Ampel geregelt. „Das hat alles noch schlimmer gemacht. Jetzt gibt es noch mehr Rückstau“, sagt Karin Tauschek.

„Sehr unglücklich gelaufen“

OB Bolay will dieses Problem mit dem Baukran gar nicht wegdiskutieren. „Das ist sicher unglücklich gelaufen“, sagt er. Aber daran könne man nichts ändern. „Wenn eine Baugenehmigung erteilt ist, können wir die nicht rückgängig machen oder die Baustelle hinauszögern.“ Auf jeden Fall werde man versuchen, die Ampelschaltung zu optimieren, um damit den Verkehrsfluss zu verbessern. Aber das ist den lärmgeplagten Anwohnern zu wenig. „Warum wird hier seit Wochen nicht mehr geblitzt oder kontrolliert?“, fragt Anja Liedl. Das sei eine völlig falsche Beobachtung, heißt es aus dem Rathaus. „Natürlich kontrollieren wir, und zwar zu unterschiedlichen Tageszeiten, auch wenn es viele Anwohner nicht wahrhaben wollen“, sagt der OB. Städtische Mitarbeiter machten Radarmessungen und gingen auch gegen Falschparker vor. Das Problem sei: „Wir dürfen keine Fahrzeuge anhalten.“ Dazu seien nur Polizeibeamte befugt. Nur sie könnten beispielsweise gegen Lastwagen-Fahrer vorgehen, die in der Neuhauser Straße gar nicht fahren dürfen. Erlaubt sind nur Fahrzeuge bis zu 3,5 Tonnen. Tatsächlich donnern aber immer wieder Schwerlaster durch die Straße. Oft seien die mit mehr als 50 Kilometern pro Stunde unterwegs, erzählt Tobias Ringelhann. Beinahe täglich erlebt er haarsträubende Szenen. Mit dem Kinderwagen könne man sich gar nicht bewegen, denn an vielen Stellen sei der Gehweg mit Schildern zugestellt. „Und wehe, dann kommt ein Auto. Dann hüpfen Sie an die Wand.“ Vor lauter Verkehr könne man mit dem eigenen Auto gar nicht aus dem Hof fahren, sagt Ringelhann. „Wenn man Pech hat, kriegt man von den Vorbeifahrenden, die warten müssen, sogar noch den Stinkefinger gezeigt.“

„Die Stadt müsste einen Mitarbeiter hier herstellen, der alle Verkehrssünder aufschreibt“, schlägt Gerd Erhard vor. Damit würde sie wenigstens signalisieren, „dass sie unsere Sorgen ernst nimmt“. Ähnlich sieht das Heinz Neuffer. Er schimpft vor allem auf den OB. „Er ignoriert uns einfach.“

„Reine Hinhaltetaktik“

Wolfgang Kerner hat in seinem Groll über das Verkehrschaos bereits bei der Polizei angerufen. Ohne Erfolg. „Da wird man nur an das Ordnungsamt der Stadt verwiesen.“ Und dort treffe man ebenfalls „nur auf Leute, die einem nicht weiterhelfen können oder wollen“. Für Kerner ist das „reine Hinhaltetaktik“. Er befürchtet, dass das Verkehrsproblem auch nach der Beendigung der Baustelle auf dem Körschtalviadukt vom Tisch ist. „Viele Lkw-Fahrer werden trotz des Verbots die Strecke weiter befahren, wenn sie merken, dass sie da schneller vorankommen.“ Wann genau die Körschtalbrücke wieder in beide Richtungen befahren werden darf, ist noch unklar. OB Bolay hat bereits Anfang voriger Woche an den Regierungspräsidenten Wolfgang Reimer geschrieben. Wer sich an der Baustelle umsehe, habe den Eindruck, dass dort „nicht unbedingt mit Volldampf“ gearbeitet werde. Er höre Vorwürfe wie: „Da sieht man gerade mal zwei Arbeiter stehen.“ Deshalb wachse die Sorge, „dass sich die Bauzeit noch deutlich länger verzögert“.

Deshalb lautet Bolays „dringende Bitte“ an den Regierungspräsidenten in Stuttgart, er möge sich dafür einsetzen, dass die Baustelle so rasch wie möglich abgeschlossen wird, „damit bald wieder normale Verhältnisse bestehen“.

Die Kritik und die Ungeduld der Anwohner könne er nachvollziehen, sagt Bolay. Das seien für sie ohne Zweifel schwierige Zeiten, die hoffentlich bald vorbei seien. Doch vermisse er auch konstruktive Vorschläge von den Bürgern, wie man die Probleme in der Neuhauser Straße beheben könne. Die Wege und Straßen seien nun mal begrenzt.