Bei seiner Mutprobe verletzt sich Uli, doch Hauslehrer Bökh zeigt Verständnis: „Lieber ein gebrochenes Bein, als von niemand für voll genommen zu werden.“ Foto: Bail Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Der Schlachtruf dröhnt durch die Kuppel: „Eisern“ rufen die Internatsschüler und wappnen sich für ihren Rachefeldzug gegen die verfeindeten Stadtschüler. „Eisern“ feuern die Zuschauer den zehn Freunde zurück, die gemeinsam durch Dick und Dünn gehen. Seit Jahren ärgern sich die Jungscliquen mit fiesen Streichen. Jetzt ist das Maß voll. Ein Kampf soll die Entscheidung bringen. In Erich Kästners legendärer Internatsgeschichte, „Das fliegende Klassenzimmer“ geht es um Werte wie Freundschaft, Mut und gegenseitiges Verständnis. Evelyn Brenner und Semjon Dolmetsch haben die 85 Jahre alte Romanvorlage für das Theater unter den Kuppeln in Stetten sachte entstaubt und sehr sehenswert für das sommerliche Freilichttheater in Szene gesetzt. Das Bühnenstück mit und für Kinder hatte jetzt Premiere.

Viel zu verändern war nicht, der Verlag verlangte Werktreue. Dennoch haben die beiden Regisseure einen Dreh gefunden, die Geschichte um Zusammenhalt, Zivilcourage und Verantwortung für den Nächsten in der heutigen Zeit zu verankern. Für egoistische Schüler, desinteressierte Lehrer und Helikoptereltern - falls es so was überhaupt gibt - sollte das Stück Pflicht sein. Am Theater unter den Kuppeln werden positive Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit und Respekt sehr anschaulich vermittelt und das in einer klaren Sprache, die ohne Jugendslang auskommt und trotzdem nicht antiquiert wirkt.

„Der Ernst des Lebens beginnt nicht erst mit dem Geldverdienen“, bringt Professor Kreuzkamm (Roland Steck) seinen Schülern bei. Das bedeutet: Man muss einstecken können, Niederlagen aushalten und sich durchboxen, um vom lustigen Pennäler zu einem verantwortungsvollen Erwachsenen zu werden. Letztlich bringt er aber wie der Hauslehrer Bökh, den alle Justus nennen (Jürgen Mehlhaase), viel Verständnis für die Flausen seiner Schüler auf. Diese haben das Schulgelände unerlaubt verlassen, weil sie ihren Freund Rudi (Jenny Micko), Sohn des Professors, aus den Händen der Stadtschüler retten wollten. Sie riskieren etwas, um dem Freund zu helfen. Das zeugt von innerer Stärke und hat nichts mit heute vielfach propagiertem comic-haftem Heldenmut zu tun.

Sorgen der Kinder ernst nehmen

Die Hauptcharaktere in Kästners „fliegendem Klassenzimmer“, das er selbst für sein bestes Kinderbuch hielt, sind: der Vollwaise Johnny, der Schriftsteller werden möchte. Er hat ein Theaterstück geschrieben, das er mit seinen Freunden kurz vor den Sommerferien probt. Matze (Florian Micko) ist nach heutigen Maßstäben Legastheniker, aber echt stark und der beste Freund des klugen Mickerlings Uli (Lotti Heß), den alle für einen Schwächling halten. Martin (Theo Man) ist der Klassenprimus, der aus einem sozial schwachen Elternhaus kommt und Sebastian (Jessica Ruffner) ist keine Leuchte. Die Internatsklasse wurde im Theater unter den Kuppeln um vier Rollen ergänzt und vom Winter auf den Sommer verlegt. Passt besser zur Location.

An Personal besteht bei dem engagierten Amateurtheater auf den Fildern kein Mangel. Gut 80 Personen bilden das muntere Klassenzimmer-Ensemble. Es gibt nur wenige Jungs, weswegen viele Schülerrollen mit Mädchen besetzt wurden. Das fällt aber dank kesser Kurzhaarperücken kaum auf.

Wie sich wahre Freundschaft ewig hält, zeigt Kästner anhand der Episode mit Lehrer Bökh und seinem ehemaligen Schulfreund. Den hat der Lehrer nach einem Zwischenfall aus den Augen verloren. In der Nähe des Internats lebt ein kauziger Kerl, den die Schüler „Nichtraucher“ nennen, weil er zwar ziemlich viel Pfeife pafft, aber in einem ausrangierten Nichtraucher-Eisenbahnwaggon haust. Die Schüler holen oft Rat bei ihm und kombinieren kleine Hinweise. Tatsächlich handelt es sich um Bökhs Freund, einen Chirurgen, dessen Rolle Semjon Dolmetsch kurzfristig übernommen hat. Die Internatler bringen die beiden zusammen. Als sich Uli bei seiner Mutprobe, ein Sprung mit Regenschirm aus drei Metern Höhe, das Bein bricht, springt „Nichtraucher“ als „Mediziner“ ein und übernimmt schließlich den Posten des Schularztes.

„Lieber ein gebrochenes Bein, als von niemand für voll genommen zu werden“, zeigt Bökh wieder Verständnis für Ulis Dummheit. Schließlich macht die Geschichte deutlich, dass auch Kinder Sorgen haben und Erwachsene brauchen, die sie dabei ernst nehmen. ABC-Schüler, die samt Lehrerinnen im Gänsemarsch fröhlich singend durchs Geschehen marschieren, eine temporeiche Kissenschlacht, Tanzeinlagen von Kindern der Ballettschule, ein grusliger Gespensterüberfall und flanierende Passanten samt einiger sprachwitziger Dialoge machen das Stück bei allem Zwang zur Werktreue kindgerecht-lebendig.

Karten und weitere Informationen gibt’s dienstags und freitags von 15 bis 18 Uhr unter Tel. 0711 / 79 51 11 oder unter www.tudk.de