Quelle: Unbekannt

Jeder hat schon vom Enkeltrick oder von falschen Polizisten gehört, die ältere Leute um ihr Hab und Gut betrügen. Weil es immer neue perfide Maschen gibt, startet das Polizeipräsidium Reutlingen eine Kampagne.

Kreis Esslingen Selten sei die Polizei mit ihren Präventionstipps so kurz angebunden, sagte Polizeipräsident Alexander Pick über die neue Kampagne des Polizeipräsidiums Reutlingen, die am heutigen Mittwoch startet. Die Kampagne „Vorsicht, Abzocke!“ legt den Menschen einen Grundsatz nahe: „Verdächtiger Anruf? Legen Sie sofort auf und rufen Sie 110 an.“ Das zentrale Thema der Kampagne ist „die unsägliche Telefonbetrügerei“, so Pick. Ob Enkeltrick, Telefonate mit falschen Polizisten und Staatsanwälten oder falsche Gewinnversprechen, die Polizei will der Betrugsmasche Herr werden.

„Das moralisch Widerliche an der Masche ist es, dass Grundhaltungen der Menschen ausgenutzt werden, die unsere Gesellschaft tragen und gesund erhalten“, sagte Pick gestern in einer Pressekonferenz. Er spricht dabei insbesondere von der Liebe gegenüber Familienmitgliedern – zum Beispiel beim Enkeltrick – und vom Vertrauen in Justiz, Polizei und andere staatliche Organe. „Dass dieses Vertrauen in Deutschland sehr ausgeprägt ist, dafür sind wir sehr dankbar. Für uns ist das eine sehr segensreiche Eigenschaft. Diese auszunutzen, ist besonders perfide und hat verheerende Folgen“, so Pick. Denn, selbst wenn der Angerufene den Trick erkennt und auflegt – der Schaden ist angerichtet. „Es hallt nach. Bei den Opfern entsteht eine große Unsicherheit – sie fragen sich, ob die Anrufer nun wütend auf sie sind, oder ob sie mit Vergeltung zu rechnen haben.“ Tatsächlich sei ein solcher Telefonbetrug für die Opfer ähnlich traumatisch wie ein Wohnungseinbruch. Auch Scham sei ein großer Faktor. So werde oft der Notfallnachsorgedienst des DRK herangezogen, um die Opfer zu betreuen, erklärte Kriminaloberrätin Martina Kaplan. Brötchentüten sollen aufmerksam machen

Obwohl die Betrugsmaschen teilweise schon seit der Jahrtausendwende bekannt sind, fallen immer noch viele Menschen darauf herein (siehe Infokasten). Das liege unter anderem an der Kreativität der meist aus der Türkei agierenden Organisationen. Auch seien die Anrufer oft extrem eloquent und beherrschten das Polizeijargon sicher. „Das ist richtige Gehirnwäsche, die da am Telefon über Stunden stattfindet“, so Pick. „Dem haben die Opfer nichts entgegenzusetzen. Da muss man einfach auflegen.“

Damit die Präventionskampagne buchstäblich in jeden Haushalt kommt, hat sich die Polizei in Zusammenarbeit mit den Kreisseniorenräten der drei beteiligten Landkreise – Esslingen, Reutlingen und Tübingen – entschlossen, den Tipp auf Brötchentüten zu drucken. Diese sollen von den 38 Innungsbäckereien in den drei Landkreisen anstelle ihrer normalen Brötchentüten verwendet werden, um Kundenbestellungen einzupacken. Eine Million Tüten hat die Polizei drucken lassen – so viele, wie es Einwohner im Einzugsgebiet des Polizeipräsidiums gibt. „Wir setzen da auch auf den Multiplikatoren-Effekt“, so Kaplan. Sie meint damit, dass die Tüten in den Bäckerei, an Arbeitsplätzen und in Familien Gespräche über die Telefonmasche anstoßen sollen. „Wichtig ist es auch, dass wir ältere Menschen erreichen, die besonders häufig Opfer dieser Betrügereien werden.“

Um auch außerhalb der Bäckereien möglichst viele Leute zu erreichen, stehen Vertreter des Polizeipräsidiums Reutlingen und der Kreisseniorenräte am heutigen Mittwoch zwischen 10 und 13 Uhr auf dem Marktplatz in Esslingen sowie an exponierten Stellen in Tübingen und Reutlingen und verteilen frische Brezeln in den neuen Tüten.

Telefonbetrug ist ein Delikt, das Pick als „hochgradig präventabel“ bezeichnet. Dass die Betrüger es dennoch immer wieder schafften, den Beamten einen Haken zu schlagen, treibe den Polizisten die Zornesröte ins Gesicht. „Wir sind der Überzeugung, dass wir der Problematik Herr werden, wenn eine kritische Größe an Informierten erreicht ist. Irgendwann kollabiert das System“, ist sich der Polizeipräsident sicher. „Wir müssen den Betrügern das Geschäft nicht mehr lukrativ erscheinen lassen. Je mehr Leute informiert sind, desto mehr Anrufe braucht es, um ein Opfer zu finden. Auch die Risiken werden größer. Wenn wir denen ihre Arbeit nervig und unwirtschaftlich machen, ist unser Ziel erreicht.“

Telefonbetrug im Landkreis Esslingen

Aktuelle Fallzahlen: Im vergangenen Jahr ist die Zahl von Telefonbetrugsfällen deutlich angestiegen. Im Landkreis Esslingen hat das Polizeipräsidium Reutlingen im vergangenen Jahr 721 Fälle des Callcenter- oder Telefonbetrugs verzeichnet, davon 33 vollendete Taten. Die Zahl der Betrugsversuche hat sich im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht. Im Jahr 2017 waren es 255 derartige Straftaten. Neunmal konnten die Betrüger Bargeld erbeuten. Das geht aus der aktuellen Kriminalstatistik des Polizeipräsidiums hervor. Dabei entstand allein im Kreis Esslingen ein finanzieller Schaden von knapp 470 000 Euro.

Auch im laufenden Jahr gibt es wieder einen Anstieg von Betrugsversuchen, heißt es von der Polizei. Allerdings seien das nur die angezeigten Straftaten. Polizeipräsident Pick geht davon aus, dass die Dunkelziffer astronomisch ist.

Der Modus Operandi: Die Zahlen zeigen, dass mittlerweile rund 96 Prozent der Angerufenen die Betrugsmasche erkennen. Dennoch seien viele den redegewandten Betrügern nicht gewachsen. Zudem veränderten die Betrüger immer wieder ihre Vorgehensweise. Darum rät die Polizei, verdächtige Telefonate sofort zu beenden und 110 anzurufen.