Flächendeckende Elektromobilität: hier noch im Modell, in Ostfildern bald real. Foto: Netze BW - Netze BW

Ist das Stromnetz der flächendeckenden Elektromobilität gewachsen? Netze BW startet einen bundesweit einmaligen Versuch in Ruit.

Ostfildern Die Elektromobilität ist auf dem Vormarsch, wenn auch nicht im Eiltempo. Mit Klimawandel, Dieselskandal und dem Ausbau der öffentlichen Ladeinfrastruktur könnte sich das ändern. Dafür will die Netze BW gerüstet sein. Darum testet der Verteilnetzbetreiber im EnBW-Konzern in Ostfildern, ob das Stromnetz der flächendeckenden Elektromobilität gewachsen wäre. Als „in dieser Form bundesweit einzigartig“ wertet Christian Bott, Leiter des vierköpfigen Projektteams, den Versuch.

Die meisten E-Mobilisten laden ihr Auto an der Wallbox, einer Mini-Ladestation für zu Hause. „Das stellt die Niederspannungsnetze, über die Privathaushalte mit Strom versorgt werden, vor Herausforderungen“, sagt Selma Lossau, Gesamtprojektleiterin für die Netzintegration der Elektromobilität bei der Netze BW. Denn das Verteilnetz sei auf Haushaltsgeräte ausgerichtet. Ein Elektroauto aber lade bei einer Leistung von elf Kilowatt fünf bis sechs Stunden lang. „Ein einzelnes Auto ist kein Problem“, sagt Lossau. Gefährlich seien Bedarfsspitzen, wenn viele Elektroautos zeitgleich im selben Netzabschnitt laden – beispielsweise abends nach Dienstschluss. Zwar sei insgesamt genug Strom vorhanden; er könne aber innerhalb des Verteilnetzes nicht in ausreichender Menge in die Haushalte transportiert werden.

Netzausbau nur punktuell

Um das Ladeverhalten der Elektroauto-Fahrer und die Auswirkungen aufs Stromnetz zu untersuchen, startet die EnBW-Tochter im Mai den Feldversuch in Ruit. Zehn Haushalten in der Belchenstraße werden sechs Monate lang kostenlos E-Autos und Wallboxes zur Verfügung gestellt und die Stromkosten fürs Laden erstattet. In der „E-Mobility Allee“, wie die Belchenstraße im Netze BW-Jargon heißt, gehe es ums „rechtzeitige Lernen“, erklärt Pressesprecher Hans-Jörg Groscurth. „Denn das Ladeverhalten der Elektroauto-Fahrer ist die große Unbekannte“, ergänzt Christian Bott. Er will herausfinden, ob und wann es zu Bedarfsspitzen kommt und wie das Stromnetz darauf reagiert.

Bei Überlastung schaltet eine Sicherung den Netzabschnitt ab. Betroffen sind dann mehrere Haushalte. Um das zu verhindern, entwickelt die Netze BW Überbrückungslösungen. „Denn die Versorgungssicherheit steht für uns an erster Stelle“, versichert Selma Lossau. Eine Möglichkeit sieht sie in Speichern, sowohl beim Kunden zu Hause als auch innerhalb des Stromnetzes. Mittags, wenn das Netz nicht ausgelastet ist, laden die Speicher Strom; abends bei großer Nachfrage geben sie Strom an die Kunden ab. Weitere Abhilfe verschafft das „Lademanagement“, bei dem Kunden in den Nachtstunden zeitlich versetzt laden.

Um den erhöhten Bedarf zu decken, setzt die Netze BW also zunächst auf Speicherung von Strom und Steuerung der Nachfrage. Erst dann soll das Netz ausgebaut werden – jedoch nicht flächendeckend, sondern punktuell in Gebieten mit starker Nachfrage. „Denn das Stromnetz in bereits bestehenden Wohngebieten nachträglich zu verstärken, ist nicht immer einfach“, erklärt Lossau. Der Boden müsse aufgerissen werden, um dickere und zusätzliche Kabel zu verlegen. Pressesprecher Groscurth hält einen flächendeckenden Netzausbau für unnötig und zu teuer. In Neubaugebieten dagegen reserviert sich die Netze BW bereits frühzeitig Flächen, um dort bei Bedarf später zusätzliche Umspannstationen bauen zu können.

Erste Ergebnisse im Herbst

Für den Testlauf hat die Netze BW mit der Belchenstraße ein ideales „Netzlabor“ gefunden. Denn in dem Wohngebiet beteiligen sich zehn Haushalte am Versuch. Das Stromnetz dort ist nicht voll ausgelastet und mit Familien, Freiberuflern und Rentnern finden sich unterschiedliche Nutzerprofile. In dem Wohngebiet stehen viele Einfamilienhäuser. Gerade dort werden Elektroautos zu Hause aufgeladen, weiß Lossau. Bei den zahlreichen Mehrfamilienhäusern in Städten dagegen sei es für Mieter schwierig, eine Wallbox anzubringen. Und für längere Strecken, die es im ländlichen Raum zurückzulegen gelte, seien Elektroautos wegen ihrer begrenzten Reichweite nicht unbedingt prädestiniert. „Aber auch die ländlichen Gebiete behalten wir im Blick“, versichert Groscurth.

Für die Wahl der Belchenstraße war nicht zuletzt die Kooperation der Stadt Ostfildern ausschlaggebend. Die Netze BW ist der Konzessionspartner der Stadt für das örtliche Stromnetz. Andrea Wangner, Pressereferentin der Stadtverwaltung, ist überzeugt: „Die Zukunft liegt in der Elektromobilität. Darum unterstützen wir das Projekt gerne.“ Sie erhofft sich „Erkenntnisse über die Belastbarkeit des Netzes in unserer Stadt“. An solchen Erkenntnissen sind auch die RWTH Aachen interessiert, das Karlsruher Institut für Technologie und die TU Dresden. Die drei Technischen Universitäten unterstützen Netze BW bei der Konzeption des Versuchs sowie bei der Erhebung und Auswertung der Daten. Erste Ergebnisse sollen im Herbst vorliegen.