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Eltern sind oft verunsichert, mehr Kinder sind psychisch oder sozial auffällig. In der Erziehungshilfestelle Wernau versucht man, das System Familie zu stützen.

WernauErziehung war noch nie einfach. Dieser Feststellung von Bürgermeister Armin Elbl widersprach niemand bei der Einweihung der neuen Erziehungshilfestelle Wernau. Aber die Fachleute betonten, dass sich immer mehr Eltern überfordert fühlen, dass mehr Kinder mit gravierenden Problemen zu ihnen kommen. Der Film „Systemsprenger“, der die Geschichte eines neunjährigen Mädchens erzählt und jetzt auf der Berlinale vorgestellt wurde, zeigt eindringlich die Herausforderungen, mit denen Eltern und Erziehungshilfen manchmal fertig werden müssen. Wie kann man mit solch schwierigen Kindern arbeiten? Das fragt sich Jürgen Knodel, Vorstandvorsitzender der Stiftung Tragwerk, die im Raum Plochingen-Kirchheim-Nürtingen sechs Erziehungshilfestellen betreibt. Am besten sollte man eingreifen, bevor Kinder die Systeme Kindergarten, Schule oder Heim sprengen. Auch ihm widersprach bei der Einweihungsfeier niemand.

Erziehungshilfestellen sind ein Konzept, das der Landkreis Esslingen vor elf Jahren eingeführt hat. Elf Stationen werden inzwischen von drei verschiedenen Trägern betrieben, stets in enger Kooperation mit den örtlichen Sozialen Diensten. Sie richten sich an Kinder im Alter zwischen 6 und 14 Jahren und an deren Eltern. Dort arbeiten, wo die Familien mit ihren Schwierigkeiten sind, erläutert Knodel den regionalen Ansatz. Niederschwellige Hilfen anbieten, bevor ein Kind in den Brunnen fällt und „maßgeschneiderte Hilfe“ anbieten, keine Konfektionsware, betont der Tragwerk-Vorstand.

Häufig seien Eltern schon mit ihrer eigenen Lebensaufgabe überfordert, das gelte nicht zuletzt für Alleinerziehende. Psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen nehmen zu, stellen die Fachleute fest. Schwierig werde es auch, wenn Eltern psychisch krank seien. In jedem Fall gelte es zu verhindern, dass ein Kind in eine psychiatrische Karriere hineinrutsche. Die Erziehungshilfestellen sollten deshalb ein Ort sein, an dem sich Kinder wohlfühlen und gern ihre Freizeit verbringen, sagte Knodel. Er schenkte der neuen Einrichtung gleich mal einen Lederball und ein mobiles Fußballtor.

Die Dreizimmer-Wohnung in der Wernauer Stadtmitte bietet fürs Wohlfühlen gute Voraussetzungen. Bislang war die Erziehungshilfestelle in der Nähe des Bahnhofs in einem großen Raum untergebracht. Weder konnten sich die Kinder zurückziehen noch die Sozialpädagoginnen mit den Eltern. Jetzt hat jedes der zwölf Kinder, die derzeit betreut werden, seinen Hausaufgabenplatz. Über das gemütliche Sofa haben die Kinder Zeichnungen gehängt und daneben geschrieben, was ihnen in der Erziehungshilfestelle gefällt. „Ich habe gelernt, nicht zu schubsen, sondern mit Wörtern zu sagen Hör auf!“, hat ein Kind formuliert.

Über die selbst gesetzten Regeln zu sprechen, gehöre zu jeder Abschlussrunde, berichtet Sozialpädagogin Ann-Kathrin Huber, die zusammen mit Elfi Müller das Wernauer Team bildet. Unterstützt werden sie von zwei ehrenamtlichen Helferinnen, die gelegentlich Bastelnachmittage anbieten. An zwei Nachmittagen in der Woche kommen die Kinder in die Hilfestation, wo sie eine feste Struktur vorfinden: Begrüßungsrunde, Lernzeit/Hausaufgaben machen, Aktionsteil mit spielen oder basteln, Teerunde mit Regelbesprechung. Die Gruppe geht auch mal raus in die Stadt, erkundet öffentliche Einrichtungen oder geht ins Freibad, wo dann die Familien und Geschwister dazustoßen können. Jedes Kind erhält auch Einzelförderung, mindestens ein Mal monatlich. „Hier erfährt das Kind, dass es ernst genommen wird“, sagt Elfie Müller. Hier werde reflektiert, wie das Kind mit Problemen umgehe, wie es in der Gruppe klar komme.

Ein dritter Pfeiler ist die Elternarbeit. „Wir denken systemisch“, erklären die Sozialpädagoginnen, man setze nicht nur am Kind an. Die Eltern wollten ja etwas verändern und seien bereit, gemeinsam etwas zu erarbeiten. Der Impuls, zur Erziehungshilfe zu gehen, kommt in der Regel aber von der Schule. Zwei Jahre Zeit sind eher knapp bemessen, um Verhaltensänderungen dauerhaft zu fixieren. Die Kooperation mit Schule, Schulsozialarbeiter, Sozialem Dienst, den Kirchen und dem Jugendhaus Kiwi, manchmal auch mit dem Jugendsachbearbeiter der Polizei, gehören zum Konzept dazu. Das funktioniere in Wernau sehr gut, sagt Daniel Gerlich, Amtsleiter Soziale Dienste im Landratsamt. Und sein örtlicher Mitarbeiter Wolfgang Buckenhofer bestätigt: „Man kennt sich hier.“ Inzwischen sei die Einrichtung bei den Eltern bekannt. „Die Erziehungshilfestelle ist in Wernau nicht mehr wegzudenken.“