(red) - „Das Gelb ist bissele streng“, urteilt Egon Martin. Das Bild eines Vogels, das er begutachten soll, ist in sehr kräftigen Farben gestaltet. Martin liebt eher die sanfteren Töne. Der 90-Jährige kommt einmal pro Woche ins Kursana Domizil in Echterdingen, um mit den Bewohnern zu malen.

Sechs Männer und Frauen haben sich um den großen Tisch versammelt. Darauf befinden sich Behältnisse mit Stiften, Malvorlagen und Zeichenpapier. Alle Senioren sind konzentriert bei der Sache, gesprochen wird wenig. Ab und zu zeigen sie sich ihre Werke oder lassen sich bei der Farbgebung beraten. Seit drei Jahren malt Egon Martin mit den Senioren. „Viele, die hier wohnen, kenne ich gut“, erzählt er. Einst führte er in Leinfelden einen Elektrobetrieb. „Damals kamen die Leute zu mir ins Geschäft, heute komme ich zu meinen alten Kunden ins Domizil“, sagt er lachend. Das Elektrogeschäft gibt es noch, im Schaufenster sind jetzt Bilder ausgestellt. „Ich hab da meine eigene Galerie aufgemacht“, erzählt der Hobbykünstler.

Er bevorzugt für seine Arbeiten Natur- und Landschaftsmotive. „Unsere Gegend ist so was Tolles. Wenn ich mit dem Fahrrädle unterwegs bin, freue ich mich über jede Blume am Wegesrand“, sagt er. Von der Natur lässt es er sich inspirieren. Gemalt hat Egon Martin schon als Kind gern - und auch sehr gut, wie seine Lehrer meinten. Drei Bücher zum Thema Familie, Vergangenheit und Vereinsmeierei hat er zu Papier gebracht.

Martin ist ein Multitalent: Er spielt Klavier, singt einmal wöchentlich mit Kindern und interessiert sich für Fußball. In den 50er-Jahren hat er bei Weltmeister-Trainer Sepp Herberger einen Lehrgang besucht. Der rüstige Senior hat jeden Tag Verpflichtungen: „Solange ich lebe, muss ich etwas tun.“ Der christliche Glaube und die Dankbarkeit, die er für jeden Tag empfindet, helfen ihm dabei. Jetzt am Ende der Malstunde, geht er noch zum Friedhof und bringt Blumen ans Grab seiner Frau.