„Schulleiter sein, ist ein All-inclusive-Job“, sagt Martin Schutz. Bisher ist kein Nachfolger für ihn gefunden. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Martin Schutz geht in den Ruhestand. Mit Herz und einem Faible für Computertechnik hat er versucht, seine Schüler so zu fördern, dass sie wieder auf die Regelschule können.

Esslingen Er wollte nah am Schüler dran sein. Deshalb ist Martin Schutz vor 38 Jahren Sonderschullehrer geworden. Die letzten 17 Jahre war er Leiter der Sprachheilschule Esslingen an der Rohräckerschule. Diesen Mittwoch wird der 64-Jährige in den Ruhestand verabschiedet. Ein Merkmal der Sprachheilschule ist, dass sie versucht, ihre Schüler möglichst bald in die Regelschule zurückzuschicken. Gleichwohl ist Schutz überzeugt, dass gerade die spezielle Förderung an der Sonderschule den Weg in die Normalität beschleunigt. Zehn Jahre jünger wird Martin Schutz oft geschätzt. Das liegt nicht daran, dass sein Job so erholsam ist. Sonst hätte sich bestimmt schon ein Nachfolger gefunden – Schutz hat seinen Abgang vor eineinhalb Jahren angekündigt. Schulleiter ist ein „All inclusive-Job“, sagt Schutz, mit vielen Extra-Aufgaben, für die man nicht extra bezahlt wird. Zum Beispiel die Bauplanungssitzungen seit 15 Jahren, denn das Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) des Landkreises auf dem Zollberg wird seit fast zehn Jahren generalsaniert. Die Sprachheilschule kommt als letzter Abschnitt dran, vermutlich 2020.

Sprachbehindert oder sprachentwicklungsverzögert, so lauten die Kriterien für die Aufnahme an die Sprachheilschule, die maximal sechs Jahre besucht werden kann. Im Schnitt bleiben die Kinder drei Jahre und wechseln dann auf die Regelschule. Sprachauffälligen Kindern fehlen viele Zugänge zu ihren Mitmenschen. Weil sie weniger Ausdrucksmöglichkeiten haben, werden sie manchmal aggressiv, berichtet Schutz. Nicht immer wird die mangelhafte Wahrnehmungsverarbeitung von Kindern erkannt. Sie sitzen dann in der Grundschule und tun sich mit Lesen und Schreiben schwer, erzählt Schutz. Kinder mit Defiziten beim Wortschatz fallen eher auf.

Damit die Kinder das Gesagte besser aufnehmen können, ist die Visualisierung von Wörtern ein methodisches Instrument. Fragen kurz formulieren, hilft ebenfalls. Und oft gilt es, zunächst die Aufmerksamkeit des Schülers herzustellen, bevor er neue Instruktionen erhält. Die Sprachtherapie wird in den Unterricht integriert, damit die bessere Sprechtechnik eingeschliffen wird. Oft reicht ein kleines Zeichen des Lehrers, damit sich ein Schüler daran erinnert, wie er das saubere S produziert hat. Auch die Eltern beziehe man mit ein, erklärt Schutz. Zuhause müsse vertieft werden, was in der Schule angebahnt werde. Eigentlich sollte die Förderung schon vor dem Einschulungstest beginnen, findet Schutz. Die Schule lädt deshalb immer wieder Erzieherinnen ein und arbeitet mit Logopäden zusammen.

Martin Schutz hat ein Faible für EDV und Medienpädagogik. Er hat schon in den 1980er-Jahren mit Sound-Karten versucht, dem Computer das Sprechen beizubringen und ihn als Lernmittel einzusetzen. Heute arbeitet man an der Sprachheilschule selbstverständlich mit dem Task-Camcorder, der die Sprache verlangsamt und damit verständlicher macht. In jedem Klassenzimmer steht eine Soundfield-Anlage, die für eine gleichmäßige Tonverteilung im Raum sorgt. Nach seiner Ausbildung zum Netzwerkberater hat Schutz die Homepage für das ganze Schulzentrum aufgebaut. Was ihm derzeit Sorge bereitet, sind die fehlenden Lehrerstellen. Die Sprachheilschule kann deshalb nur eine erste Klasse aufnehmen.

Dass an der Sprachheilschule jeden Tag gesungen wird, liegt wohl auch daran, dass der Rektor gerne singt und Gitarre spielt. Für die Musik wird er nun mehr Zeit haben, ebenso für das Schreinern im Hobbyraum und für seine beiden Enkel.

Erst intensive Förderung, dann Inklusion

Martin Schutz, bisheriger Leiter der Sprachheilschule, ist überzeugt, dass die spezielle und intensive Förderung den Weg zurück auf die Regelschule beschleunigt.

Welche Ursachen haben die Sprachstörungen? Unterscheiden sie zwischen genetisch-physiologischen und sozialisationsbedingten Faktoren?
Diese Unterscheidung bringt nichts. Für die Eltern macht das auch keinen Unterschied, allenfalls ruft es noch Schuldgefühle hervor. Der Problembewältigung ist das eher abträglich. Wir haben allerdings Schüler, deren Eltern schon auf der Sprachheilschule waren, insofern könnte man hier auf einen Sprachschwäche-Typus schließen.
Ist der Anteil an Kindern mit Sprachverzögerung in den vergangenen Jahren gestiegen?
Ja, das stellen die Gesundheitsämter bei der Untersuchung vor der Einschulung fest. Eine Ursache dürfte im vermehrten Medienkonsum liegen. Wenn man Eltern befragt, wie lange ihr Kind vor dem Fernseher sitzt und wann es ins Bett geht, dann sind die Antworten schon bedenklich. Auch in Wartezimmern kann man beobachten, dass Eltern mit dem Handy beschäftigt sind, nicht mit dem Kind. Oder dass die Kinder beim Einkauf nebenher laufen, anstatt einbezogen zu werden. Dabei bestärkt gerade der Augenkontakt das Kind, sich sprachlich zu äußern. Wir versuchen, mit Intensiv-Elternabenden dagegen zu steuern.
Ihre Schule bezeichnet sich als Durchgangsschule, die versucht, die Kinder bald wieder in die Regelschule zu bringen. Ist es da nicht naheliegend, die Kinder gleich inklusiv zu beschulen und an der Regelschule zu fördern?
Nein, die Intensivförderung in den ersten Schuljahren ist der bessere Weg. Das ermöglicht die anschließende Inklusion. Das sieht der Elternbeirat genauso. Wir versuchen die Rückschulung nach Klasse 2 oder Klasse 4, spätestens nach der 6. Klasse. Beim Versuch, die Kinder an der Regelschule zu fördern, haben wir auch schon Rückschläge erlebt. Da ist dann niemand für die Finanzierung der Soundfield-Anlage zuständig – ein Hilfsmittel, das wir an unserer Schule in jedem Klassenzimmer haben.