Aus Alt mach Neu: Anstelle der bisherigen Bebauung plant ein Investor an der Ecke Hauptstraße/Wilhelmstraße einen Neubau mit 50 Eigentumswohnungen. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Statt am Ortsrand Grünflächen für Neubaugebiete zu erschließen und die Landschaft zu zersiedeln, setzt man in Reichenbach auf innerörtliche Ressourcen.

ReichenbachDas Starmix-Areal an der Stuttgarter Straße in Reichenbach ist von einem hohen Zaun umgeben. Nach dem Umzug der Firma Elektrostar ins benachbarte Ebersbach ist das 14 000 Quadratmeter große Firmengelände verwaist. Auf dem zentrumsnahen Areal will Bürgermeister Bernhard Richter „hochwertiges Wohnen verwirklichen.“ Dicht sollen die Bewohner nicht aufeinander sitzen. „Denn ich will kein Getto“, unterstreicht er. Er stehe bereits mit den Eigentümern des Starmix-Areals in Verhandlungen. Ob die Gemeinde zum Zug kommt, ist nicht gewiss. Der Gemeinderat hat jedoch beschlossen, für das Starmix-Areal einen Bebauungsplan aufzustellen und eine Satzung über ein Vorkaufsrecht auf den Weg zu bringen. Richter: „So haben wir auf jeden Fall die Hosen an.“

Innenverdichtung statt Zersiedelung

Dass eine zentral gelegene Industriefläche frei wird, ist ein Glücksfall. Denn Reichenbach hat ein Problem. „Wir haben eine sehr kleine Markung“, sagt der Bürgermeister. So sitzen etwa die Zuschauer im Sportstadion auf Hochdorfer Markung und die Reichenbacher Kläranlage liegt auf Plochinger Hoheitsgebiet. Fast die Hälfte der 7,43 Quadratkilometer großen Reichenbacher Markung ist bewaldet, 19 Prozent werden landwirtschaftlich genutzt. Der Flächennutzungsplan hätte erlaubt, von den landwirtschaftlichen Flächen etwas abzuzwacken und sich auf den Richtung Ebersbach gelegenen Streuobstwiesen auszudehnen. „Wir haben aber beschlossen, diese Fläche, die seit Jahrzehnten im Flächennutzungsplan stand, wieder rauszunehmen“, erzählt Richter. Nur die einstige Obstanlage der Gemeinde wird Bauland. Im Gewann „Am Schafhaus“ soll eine Green-Building-Siedlung entstehen. „Das waren keine hochwertigen Streuobstwiesen und somit ist das Baugebiet zu vertreten“, findet Richter.

Statt die Landschaft weiter zu zersiedeln, setzt die Gemeinde auf Innenverdichtung. „Das machen wir schon seit 25 Jahren, und zum Glück zieht auch der Gemeinderat voll mit.“ Als vor einigen Jahren klar war, dass die Firma Elektrostar eine für sie freigehaltene Fläche nicht mehr benötigt, „sind wir sofort daran gegangen, dort ein kleines Neubaugebiet zu entwickeln“.

Für die Innenverdichtung kauft die Gemeinde alte Häuser. „Die machen wir dann platt und suchen für das Neubauprojekt einen Investor“, berichtet Richter. Damit die Grundstücke für Investoren attraktiv sind, „versuchen wir, dass wir möglichst zusammenhängend mehrere Häuser kaufen können“. Dass das ein mühsames Geschäft sein kann, weiß er aus Erfahrung. „Um innerörtliche Potenziale zu heben, braucht man Mut, Zeit und Geduld. Es kann auch schon mal zehn Jahre dauern, bis man ans Ziel kommt.“ An der Ecke Hauptstraße/Wilhelmstraße gelang es. Dort plant ein Investor 50 Eigentumswohnungen in verschiedenen Größen. Auch in der früheren Brunnenschule sollen Eigentumswohnungen entstehen, im Pausenhof sind zwei Mini-Punkt-Häuser geplant. „Dadurch gelingt es, ein prägnantes Gebäude zu erhalten“, erklärt Richter. Mit der Innenverdichtung schlage man zwei Fliegen mit einer Klappe. „Wir verbrauchen keine neuen Flächen und sorgen dafür, dass der Wert der Bestandsimmobilien erhalten bleibt. Denn wenn man permanent mit Neubaugebieten auf der grünen Wiese in die Breite geht, macht man Häuser im Ort wertlos.“

Als sich die Gemeinde vor einigen Jahren die Altersstruktur der Bewohner von Einfamilienhäusern anschaute, die in den 60er-Jahren auf dem Siegenberg gebaut wurden „haben wir festgestellt, dass dort inzwischen viele ältere Alleinstehende leben und die Häuser eigentlich untergenutzt sind“. Natürlich wolle man niemanden vertreiben. Klar sei auch, dass sich nicht jeder von seinem Häusle trennt. „Aber es gibt viele Ältere, die runter in den Flecken ziehen möchten.“ Denen müsse man ein Angebot machen. „Denn wer sein Haus verkauft, möchte neues Eigentum erwerben.“ Auf dem Siegenberg sei der Generationswechsel bereits bemerkbar. „Für junge Familien ist es durchaus attraktiv, ein Haus aus den 60er- oder 70er-Jahren zu kaufen.“

Neuer Wohnraum auch auf dem Postareal

Aber wie kommen all jene zu einem Dach über dem Kopf, die sich weder Eigentum noch hohe Mieten leisten können? Um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, forderten die Grünen in den Haushaltsberatungen, dass die Baugenossenschaft Reichenbach „aus der Rolle des Verwalters in die Rolle des Akteurs schlüpft“ und mehr „preiswerten Wohnraum zur Verfügung stellt“.

Dass die Genossenschaft in neue Mietwohnungen investiert, hält Richter für zu riskant: „Die Baugenossenschaft hat eine Bilanzsumme von sechs Millionen Euro. Wenn da auch nur ein Projekt schiefgehen sollte, würde man den Bestand der Genossenschaft und somit auch bezahlbaren Wohnraum gefährden.“ Stattdessen setzt er darauf, auswärtige Genossenschaften als Bauträger zu gewinnen. So entstanden in den beiden Häusern der Siedlungsbau Neckar-Fils entlang der Stuttgarter Straße und der Schillerstraße 18 barrierefreie Mietwohnungen. „Richtung Fürstenstraße haben wir bereits ein weiteres Projekt im Köcher“, verrät der Bürgermeister.

Neuer Wohnraum soll auch auf dem Postareal am Bahnhof entstehen, wo die Gemeinde einige Häuser gekauft hat. Dort will die Flüwo an den Start gehen. „Für die Hälfte der Wohnungen haben wir uns Belegungsrechte gesichert“, sagt Richter. Dass der Gemeinderat, wie von der SPD-Fraktion bei den Haushaltsberatungen gefordert, bei allen Grundstücksverkäufen für den Geschosswohnungsbau strikte Quoten festlegt, „um den Anteil von sozial gebundenem und gefördertem Wohnungsbau zu definieren“, lehnt er jedoch ab. „Man muss das immer im Einzelfall entscheiden, das Gefüge des gesamten Ortes berücksichtigen und die Bewohnerstruktur im Auge haben“, erklärt der Bürgermeister. „Denn sonst läuft man Gefahr, dass doch irgendwo ein Getto entsteht.“