Trotz der Krise ist Geschäftsführer Wolfgang Rehm guter Dinge: „Wir werden den Betrieb retten.“ Foto: Tom Weller - Tom Weller

Anfang September wird das Insolvenzverfahren für den Wurst- und Fleischhersteller Rehm in Aichwald offiziell eröffnet. Geschäftsführer Wolfgang Rehm ist überzeugt, dass er das Familienunternehmen zusammen mit seinen Mitarbeitern retten kann.

AichwaldDen 29. Mai wird Wolfgang Rehm nicht so schnell vergessen. An diesem Tag beantragte der Unternehmer vor dem Esslinger Amtsgericht für den traditionsreichen Familienbetrieb ein vorläufiges Insolvenzverfahren. 82 Jahre zuvor hatte sein Großvater Eugen und dessen Kinder die Esslinger Fleischwaren GmbH und Co. KG gegründet und sie Zug um Zug zu einem der bedeutendsten Wurst- und Fleischhersteller in Süddeutschland gemacht. Aber nie hätte er gedacht, dass sein Unternehmen, das einen Jahresumsatz von 15 bis 16 Millionen Euro macht, jemals in eine so existenzielle Krise schlittern würde. „Wir waren alle wie geschockt“, erzählt der 46-jährige Geschäftsführer.

Wegen Zahlungsproblemen hatte er sich damals in Absprache mit den übrigen Gesellschaftern für den Schritt entschieden. „Der Preis für Schweinefleisch stieg in exorbitante Höhen. Plötzlich waren wir in einer bilanziellen Überschuldung“, berichtet er. Was jedoch nicht gleichzusetzen sei mit einer Zahlungsunfähigkeit, wie der 46-Jährige betont. Seither hat der Stuttgarter Jurist Tibor Braun, ein in dieser Branche erfahrender Mann, als vorläufiger Insolvenzverwalter das Sagen im Betrieb. Und er wird den Kurs sicher noch über Monate bestimmen, wenn am 1. September das Verfahren offiziell eröffnet wird. Aber Wolfgang Rehm glaubt fest an die Rettung des Unternehmens, weil man neue Aufträge an Land ziehen konnte, vor allem aber, weil man gerade dabei sei, sich mit neuen Strategien und Produkten auf dem hart umkämpften Markt besser zu positionieren und sich ein wenig unabhängiger zu machen.

„Wir sind alle hoch motiviert“, sagt der Geschäftsführer. Es sei ein richtiger Ruck durch die Firma gegangen. Niemand habe wegen der bevorstehenden Insolvenz gekündigt. „Alle ziehen an einem Strang, um den Betrieb gemeinsam wieder auf gesunde Beine zu stellen.“

Nur ein einziger Lieferant sei abgesprungen, berichtet Rehm. Aber sämtliche Kunden seien bei der Stange geblieben. Statt Absprunggedanken stelle man bei den Kunden, zu denen vor allem Discounter gehören, fest, „dass sie uns unterstützen wollen“. Diese positive Grundstimmung habe im Unternehmen sogar zu einem „neuen Selbstverständnis“ geführt. „Wir sind bereit zu kämpfen.“

Dass es nach der Eröffnung des Insolvenzverfahren Einschnitte geben muss, auch schmerzhaft, sei jedem klar, sagt Rehm. Grundsätzliche strukturelle Probleme sieht er in dem Betrieb nicht. Er ist im Nachhinein „froh, dass wir die Probleme frühzeitig erkannt und entsprechend reagiert haben“. Wie genau der künftige Insolvenzverwalter Tibor Braun das Familienunternehmen in sichereres Fahrwasser steuern wird, ist noch nicht abzusehen. Doch ist eine Neuausrichtung unabdingbar. Üblicherweise sind solche Veränderungen auch mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen verbunden. Im Augenblick sind in der Produktion 85 Leute beschäftigt, hinzu kommen 15, die in der Verwaltung tätig sind.

Der Markt, auf dem sich Rehm bewegt, ist schwer kalkulierbar. „Wir sitzen zwischen den Stühlen“, beschreibt der Geschäftsführer die Situation. Auf der einen Seite sterben die Lieferanten aus. Kleine Schlachtbetriebe wie einer aus dem Allgäu, von dem die Aichwalder seit vielen Jahren hochwertige Rohware erhalten, können dem Konkurrenzdruck nicht mehr stand halten und geben auf. Nach Einschätzung Rehms werden vielleicht sechs oder sieben große Lieferanten übrig bleiben. Trotzdem werde man alles daran setzen, das Fleisch für die spätere Verarbeitung vor allem aus der Region zu beziehen.

Der deutsche Fleischmarkt ist sehr exportorientiert. Diese Schieflage wurde im Frühjahr nochmals größer, weil die Chinesen damals wegen der im Land grassierenden afrikanischen Schweinepest plötzlich Massen von Schweinefleisch aufkauften und damit den Preis in die Höhe trieben. Von einer auf die andere Woche sei der Preis für Schweinefleisch um 40 Cent pro Kilo gestiegen, berichtet Rehm. So eine massive Steigerung sei nur schwer zu schlucken. „Das müssen wir alles vorfinanzieren.“ Genauso strampeln müssen mittelständische Firmen wie Rehm auf der Kunden-Seite. Die Großabnehmer diktieren den Verkaufspreis und drücken damit die Gewinnmargen.

„Wir wollen künftig noch viel präsenter auf dem Markt sind“, gibt Wolfgang Rehm die neue Richtung vor. Mit Ingo Hartmann habe man vor eineinhalb Jahren einen versierten Branchenkenner zum Vertriebsleiter gemacht. Mehr denn je will sich Rehm seiner Wurzeln besinnen. „Wir sind keine Fleischfabrik, sondern eine große Metzgerei“, sagt Rehm zum Selbstverständnis. Qualität sei das A und O. Nur damit könne man sich gegenüber der Billigkonkurrenz behaupten. Doch ist dem Geschäftsführer klar, „dass wir auch neue Felder beackern müssen“. Ziel sei eine bessere Basisauslastung des Betriebs. Dazu gehöre, dass man mehrere Standbeine hat, bei den Kunden wie bei den Produkten. Man sei gerade dabei, das ganze Sortiment auf den Prüfstand zu stellen. Mittlerweile ist man sich im Unternehmen auch darüber klar geworden, dass die Schiene mit Bio- und vegetarischen Produkten nicht ausgeklammert werden darf. Völliges Neuland betrete man damit jedoch nicht, betont Rehm. Denn es gebe heute beispielsweise schon Gemüsemaultaschen.

Die Krise sei auch eine Chance. Mit dem nun in Gang gesetzten Neuanfang bekomme das Familienunternehmen neue Freiheiten, betont Rehm. „Die werden wir auch mit aller Kraft nutzen.“