Ingeborg Rehn gibt ihr Wissen über Plochingen auch nach vielen Jahren noch mit Freude weiter. Foto: Ait Atmane - Ait Atmane

Im September 1994 hatte Ingeborg Rehn Premiere als Stadtführerin in Plochingen. Oft hört die 73-Jährige seither: „Das hätte ich nicht gedacht, dass Plochingen so schön ist.“

PlochingenIngeborg Rehn hat schon mal 70 Neugierige gleichzeitig durch das Hundertwasserhaus in Plochingen geführt, ein anderes Mal ging sie mit einer einzigen Frau allein auf Entdeckertour durch die Stadt. Die 73-Jährige ist Stadtführerin der ersten Stunde, mittlerweile hat sie mehr als 600 Mal anderen die Reize von Plochingen nahegebracht.

Ob Wengertertour oder Industriekultur, ob Kunst, Geschichte oder Wohnen unter dem Regenturm: In diesem Jahr ist die Themenpalette bei den Stadtführungen groß. Kaum vorstellbar, dass es vor 25 Jahren noch kein festes Angebot in dieser Art gab. Die Nachfrage nach Stadtführungen nahm erst mit der Fertigstellung des Hundertwasserhauses mit dem Regenturm im Jahr 1994 schlagartig zu. Deshalb suchte die Stadt nach Stadtführern.

Unter anderem wurde damals im Verein „Kontakt von Frau zu Frau“ gefragt – und Ingeborg Rehn war bei den Ersten, die sich meldeten und sich schulen ließen bei den Vorträgen von Architekt Heinz Springmann, der das „Wohnen unterm Regenturm“ geplant hat, von Ortshistoriker Manfred Reiner und von Kulturamtsleiterin Susanne Martin. Im September 1994 hatte sie ihre Premiere, ihre erste Stadtführung mit Erstklässlern aus Sindelfingen. „Das war schon eine aufregende Sache, beim ersten Mal“, erinnert sie sich. Mehr als 600 Führungen später ist vieles Routine. Großen Spaß macht es ihr nach wie vor: „Die Leute freuen sich, wenn sie die Geschichten hören.“

Auch Einheimische erfahren Neues

Das gilt nicht nur für Auswärtige, auch Plochinger lernen und entdecken bei den Führungen Neues in ihrer Stadt. Woher hat das Fuhrmannshaus seinen Namen? Rehns Gegenüber bleibt die Antwort schuldig – und schon erzählt sie von dem Fuhrunternehmer Georg Wagner, der wegen einer Augenkrankheit direkt bei der Ottilienquelle mit ihrem Heilwasser baute. Sein Augenlicht hat ihm das allerdings nicht gerettet, er erblindete und musste später sein Haus wieder verkaufen. „So kleine Anekdoten wissen viele Plochinger auch nicht“, sagt die Stadtführerin. Ihre Lieblingsthemen? „Ich erzähle gerne von Hundertwasser.“ Der Künstler selbst ist ein ergiebiges Thema, und viele Leute nähmen die Details seiner Gestaltung ganz anders wahr, wenn sie die Philosophie dahinter und die Geschichten aus der Bauzeit gehört haben. Die Wirkung, die das Eintauchen in die Hundertwasserwelt des Innenhofs hat, beeindruckt die Stadtführerin immer wieder: Selbst 14-Jährige kämen da ins Staunen.

Der Marktbrunnen von Karl-Ulrich Nuss ist ein anderes Lieblingsobjekt für sie, „weil man da so viel drauf sieht“. Sie selbst hält sich über Neues in Plochingen auf dem Laufenden und geht mit offenen Augen durch die Stadt, sich bewusst, dass auch Alteingesessenen manches Detail entgeht. Wer täglich durch die Bahnhofshalle hastet, hebt womöglich nie den Blick nach oben zur getäfelten Jugendstildecke. Und wahrscheinlich sind vielen noch nie die hübschen Details an den Arbeiterwohnhäusern in der Eisenbahnstraße aufgefallen. „Das sind so Kleinode“, sagt Ingeborg Rehn, die selbst grundsätzlich beim Besuch von anderen Städten erst mal an einer Führung teilnimmt.

Wenn sie anderen die Plochinger Reize enthüllt, deckt sie verschiedenste Themen ab und freut sich immer wieder über den Satz, der recht oft fällt: „Das hätte ich nicht gedacht, dass Plochingen so schön ist.“ Auch Briefe hat sie schon bekommen oder gemalte Bilder und Fotos von selbst gebastelten Regentürmen – Kindergärten und Schulklassen werden da oft aktiv.

Gerade Kinder bringen oft eine ungewöhnliche Sicht mit. Einmal sei ein Junge bei einer Führung ganz empört gewesen, weil der Künstler Tomi Ungerer auch im Männer-Abteil von „Les Toilettes“ rosarote Fliesen gewählt hatte. Da konnte Ingeborg Rehn ihn aufklären, dass das keine Anspielung aufs Geschlecht, sondern eine auf die Farbe der menschlichen Haut ist.