Der 104er aus Esslingen kommt seit Anfang Juli drei Minuten nach dem 143er an. Wer auf den Wert will, Quelle: Unbekannt

Mobilitätsserie: Mit zwei Buslinien ist Deizisau nicht schlecht bedient. Doch seit 1. Juli passen die Fahrpläne des 104er nicht mehr zum 143er. Fahrgäste und Bürgermeister ärgern sich.

DeizisauGerne würde Bürgermeister Thomas Matrohs seinen Bürgern den Umstieg auf den Bus noch schmackhafter machen. Schließlich sind die Grenzen des Individualverkehrs in der Region Stuttgart erreicht und beim Feinstaub sogar die Grenzen überschritten. Doch seit dem 1. Juli mag der Deizisauer Schultes die Werbetrommel nicht mehr anrühren. Denn der Fahrplan ist aus dem Takt geraten. Zumindest für die Bewohner des Gebiets Wert. Wer bislang mit dem 104er aus Esslingen kam, hatte am Rathaus zwei Minuten Zeit, um auf den 143er aus Plochingen umzusteigen und sich den Deizisauer Buckel hochbringen zu lassen. Seit zwei Wochen kommt der 143er statt um X.09 Uhr um X.14 Uhr in Deizisau an – drei Minuten nach Abfahrt des 104er. „Wie soll ich denn da für den ÖPNV werben?“, fragt ein verärgerter Rathauschef. Wozu habe man denn die Bürger nach Vorschlägen zur Verbesserung des ÖPNV gefragt?

Mitschuld an der Verschlechterung ist offenbar ein Kommunikationsfehler zwischen Deizisau und den Esslinger Verkehrsbetrieben (SVE). Die Gemeinde sollte zum neuen Fahrplan Stellung nehmen, allerdings war der alte, ordentliche Fahrplan beigelegt worden. Deshalb hatte sie nicht widersprochen.

Der Ärger weckt weitere Neidgefühle. Deizisau sei die einzige Kommune entlang der B 10, die auch in der Hauptverkehrszeit nur den Halbstundentakt habe. „Wir partizipieren nicht am 15-Minuten-Takt der S-Bahn“, schimpft der Bürgermeister, der sich sonst nicht so schnell aus der Ruhe bringen lässt. Neidvoll schaut er zu den Nachbarn nach Denkendorf, die mit dem X10 auch noch eine Anbindung an den Flughafen bekommen haben. Und dann fällt ihm die lächerliche Verbindung nach Wernau ein: Morgens um 7 Uhr braucht man mit Bus und S-Bahn 39 Minuten. Mit dem Auto kann man es in sieben Minuten schaffen, mit dem Fahrrad sind es 20 Minuten von Rathaus zu Rathaus. Und man kann es auch in 24 Minuten packen: Zu Fuß sind es 16 Minuten zum Bahnhof Altbach, die S-Bahn braucht dann nochmals 8 Minuten.

Gut 2500 Pendler verlassen täglich Deizisau, fast 2800 kommen in den Ort. „Denen muss man doch ein Angebot machen“, sagt Matrohs und fordert den Viertelstundentakt in den Stoßzeiten. Angesichts von Staus und Feinstaub dürfe man nicht nur von den Kosten her denken“, appelliert er an Landkreis und Region. Sein Kropf ist nungeleert und er stellt fest: „Der Halbstundentakt ist nicht nichts.“ Immerhin kommt man in neun Minuten nach Plochingen und hat dann Anschluss an die große weite Bahnwelt.

Mobilo-Bus fährt jetzt Linie

Im April hat die Gemeinde ihr innerörtliches Bus-Angebot für Senioren deutlich verbessert. Der „Mobilo“ fährt jetzt zwei Mal in der Woche Linie und hält an 17 Haltestellen. Montags und dienstags bietet das ehrenamtliche Fahrerteam nach wie vor individuelle Fahrten zu den Einkaufsmärkten an. Den kostenlosen Linien-„Mobilo“ nutzen 5 bis 13 Fahrgäste am Tag. „Es läuft langsam an“, sagt Wolfgang Wiedenmann, einer der Fahrer. Der Einkaufs-„Mobilo“ habe auch Zeit benötigt, jetzt müsse man an manchen Tagen sogar zwei Touren fahren. Weil die Linien-Runde wegen der vielen Haltestellen lange braucht, nutzen ihn die Fahrgäste auch für Teilstrecken, um ihren Fußweg zu verkürzen. Clevere kombinieren ihn mit dem 143er: Mit dem „Mobilo“ hoch zum Berghof-Laden und anstatt eine Stunde zu warten, nehmen sie runter den 143er mit dem Ein-Euro-Ticket.

„Deizisau ist genau der richtige Punkt, wo der Radschnellweg von einer Neckarseite auf die anderen wechseln sollte“, sagt Bürgermeister Matrohs voller Überzeugung. Wenn das Land den Radschnellweg von Reichenbach bis Stuttgart als Leuchtturm-Projekt einstufe, dann wäre doch eine schmucke Radfahrerbrücke das dazu passende Leuchtturm-Bauwerk. Die Idee der Radbrücke ist nicht neu. Schon Matrohs’ Vorgänger Gerhard Schmid träumte davon und legte dem Gemeinderat den Plan einer filigran geschwungenen Brücke vor, die vom Ende der Altbacher Straße hinüber zur Spitze der Neckarwerke-Insel führen sollte. Matrohs sieht nun die Stunde gekommen, die Vision in die Realität umzusetzen. Er werde sich mit aller Kraft dafür einsetzen.

Der Rathauschef rechnet sogar mit Unterstützung der Nachbargemeinden. Denn auf der Deizisauer Seite hätte man Platz für die Radler-Autobahn, die vom Filstal herkommen soll. Aus Deizisauer Warte würde sich die Brücke aus mehreren Gründen lohnen: Die Gemeinschaftsschule ist für die Kinder aus Altbach leichter erreichbar, Deizisauer und Altbacher Bürger könnten geschickter und sicherer zu den Einkaufsmärkten radeln. Und schließlich könnten die Pendler, für die der Radschnellweg in erster Linie gedacht ist, davon profitieren. Große Betriebe in Deizisau wollen noch weiter wachsen und die Gemeinde denkt an die Ausweisung eines neuen Gewerbegebiets. Der Bürgermeister muss jetzt noch seinen Gemeinderat mitnehmen, der sich offiziell für die Brücke aussprechen soll.

Aktuell ist die Gemeinde dabei, eine Mobilitätskonzeption zu erarbeiten. Ziel sei, den Individualverkehr innerorts zu reduzieren, erklärt Matrohs. Die Grundlage dafür erarbeitet Thomas Ernst vom Fraunhofer-Institut, der sich als Deizisauer Bürger mit den Gegebenheiten auskennt. Matrohs verspricht sich davon den „großen Rundumschlag“. Der ÖPNV soll verbessert und die Verkehrsflüsse optimiert werden. Dazu gehöre auch, Engpässe durch Parkflächen aufzuspüren. Auf die Mithilfe der Bürger ist die Gemeinde aber bei den Parkflächen angewiesen. Matrohs appelliert: „Der öffentliche Straßenraum ist kein Ersatz für die mit anderen Dingen voll gestellte Garage.“

Das Mobilitätskonzept wird sich auch mit dem Radverkehr befassen. An einem Workshop haben sich zwar wenige Bürger beteiligt, aber etliche Ideen geliefert. So soll der Radweg in Richtung Körschtal breiter und die Beläge insgesamt besser werden. Die Wegeführung durch den Ort soll nicht dem Sightseeing dienen, sondern sich stärker nach praktischen Aspekten der Radler richten. Matrohs: „Da habe wir einige Hausaufgaben zu machen.“

Bei der E-Mobilität war die Gemeinde bereits aktiv und hat Fördergeld für zwei Ladesäulen beantragt. Nun wartet man auf den Bescheid vom Bund. Stehen die Säulen, dann will der Bürgermeister bei den Firmen anklopfen, damit diese dem Vorbild nacheifern. Für Mitarbeiter und Kunden gebe es da „smarte Lösungen“, die sich leichter verwirklichen ließen als an öffentlichen Plätzen, wo man Abrechnungssysteme brauche und eine vandalensichere Installation.

Schließlich hat man in Deizisau auch die Fußgänger im Blick. Der Marktplatz soll nach der Umgestaltung barrierefrei sein und für Kinder sicherer. Bisher ist die Gemeinde aber nicht ins Förderprogramm aufgenommen worden. Das Projekt stockt deshalb.