Der Pianist Aeham Ahmad probt mit Gymnasiasten für den gemeinsamen Auftritt. Foto: Bulgrin - Bulgrin

Mit 31 Jahren hat der Pianist Aeham Ahmad, der als palästinensischer Flüchtling im syrischen Flüchtlingslager lebte, Schreckliches erlebt. Weltberühmt wurde er durch sein Klavierspiel in Trümmern. Mit Schülern des Wendlinger Robert-Bosch-Gymnasiums musizierte der Buchautor. Seine Lebensgeschichte machte die Jungen und Mädchen betroffen.

Wendlingen/KöngenDas Klavierspiel gibt Aeham Ahmad Hoffnung. Obwohl ein Granatsplitter im syrischen Bürgerkrieg seine linke Hand schwer verletzt hat, gibt der Profimusiker seine Kunst nicht auf. Bei einem Workshop mit Acht- bis Elftklässlern des Robert-Bosch-Gymnasiums in Wendlingen zeigte der Pianist den jungen Leuten seine verletzte Hand. Die Glieder kann er zwar wieder bewegen, eingeschränkt jedenfalls, „aber für die komplexen Werke von Rachmaninow würde es nicht mehr reichen.“ Dennoch spielt der Künstler in internationalen Konzertsälen, spricht mit den Besuchern über sein Schicksal. Im Flüchtlingslager Jarmuk trat er als „Pianist in Trümmern“ auf. Damit wurde der Musiker in der ganzen Welt bekannt.

Das Foto und das Video auf You Tube gingen um die Welt. Der IS hat sein völlig verstimmtes Klavier zerstört, das er auf einem Rollwagen durch die Trümmerlandschaft zog. „Jedes Mal, wenn ich am Klavier saß, wusste ich nicht, ob bald wieder eine Bombe einschlägt“, schildert der Künstler den Schülerinnen und Schülern seine Angst. Im Klassenzimmer des Schulzentrums Am Berg spricht er leise, wenn er sich an diese Augenblicke erinnert. Dann verrät der temperamentvolle 31-Jährige, der die Jungen und Mädchen sonst mit seinem Feuer geradezu mitreißt, seine Angst. „Viele von den Menschen, mit denen ich da in den Trümmern des Bürgerkriegs aufgetreten bin, leben nicht mehr.“ Worte wie diese machen betroffen. Vor allem den Kindern habe er mit seinem Spiel Hoffnung geben wollen.

Staatenloser Familienvater

Der drahtige Pianist spricht Englisch. Für sein „nicht so gutes Deutsch“ entschuldigt sich der Autor des Buchs „Und die Vögel werden singen“, das 2017 im Fischer-Verlag erschienen ist (350 Seiten, Hardvover 20 Euro). Sandra Hetzl und Ariel Hauptmeier haben den Araber beim Schreiben unterstützt. Als palästinensischer Flüchtling wuchs er im Lager Jarmuk in der syrischen Hauptstadt Damaskus auf. „Ich bin staatenlos“ sagt der Vater zweier kleiner Söhne, der sich sehnlich einen Pass wünscht.

„Wo sehen Sie Ihre Heimat?“ will ein Schüler wissen. Da zögert der Mann, der eine lebensgefährliche Flucht hinter sich hat. An einem Ort wolle er den Begriff nicht festmachen. Liebevoll spricht er von seiner Familie, die ihm im Frühjahr 2016 nachreisen durfte. „Die Lage wurde immer schlimmer, der IS hat immer mehr Menschen unter Druck gesetzt, viele auch getötet.“ In der Diktatur Assads gebe es keine freie Presse. Menschen würden gefoltert. Jetzt lebt er mit seiner Frau, die als Künstlerin eine kleine Galerie hat. Durch seine Auftritte und Workshops, die ihn durch ganz Europa führen, kann er seine Familie inzwischen gut ernähren. „Ich zahle Steuern“, sagt der Künstler mit Nachdruck. Dem Staat, „der so viel für mich getan hat“, nicht auf der Tasche zu liegen, das ist ihm wichtig.

Dennoch blickt der Geflüchtete auch kritisch auf seine erste Zeit in Deutschland zurück. Eine Schülerin hakt nach, wie er denn zu den Vorurteilen steht, mit denen Geflüchtete in ganz Europa zu kämpfen hätten. „Niemand will dem Staat auf der Tasche liegen“, sagt er. Viele studierte oder gut ausgebildete Syrer, die er kennt, haben inzwischen Arbeit gefunden. Bundeskanzlerin Angela Merkel, bei deren Veranstaltungen der gefragte Pianist schon mehrfach aufgetreten ist, habe ihm gesagt, dass die deutsche Wirtschaft auf die jungen, geflüchteten Facharbeiter angewiesen sei. Er selbst hat anfangs beim Jobcenter schlechte Erfahrungen gemacht: „Wenn man kein Deutsch kann, wird sofort die Hälfte der Bezüge abgezogen.“ Musik lernen falle ihm leicht, doch mit der deutschen Sprache habe er Probleme, sagt der Künstler, der fließend Englisch spricht.

Die Gymnasiasten aufgerüttelt

„Musik ist eine internationale Sprache“, sagt Aeham Ahmad. Nach dem Workshop zur gesellschaftspolitischen Situation in Syrien machte er mit Schülern in einem weiteren Workshop Musik. Gemeinsam mit den jungen Leuten gab er gestern Abend ein Konzert. Da wurden auch Passagen aus seinem Buch gelesen. „Aus erster Hand zu erfahren, was der Bürgerkrieg für die Menschen in Syrien bedeutet, hat unsere Schüler aufgerüttelt“, sagt die Pädagogin Dilara Horlacher.

Sie hat den Besuch des weltbekannten Pianisten gemeinsam mit ihrem Kollegen Claus König organisiert. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Langzeitprojekts „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ statt. Im vergangenen Schuljahr hatte die Schule das Projekt mit einer Luftballonaktion begonnen, erinnert Horlacher: „Den Gymnasiasten war es wichtig, nachhaltige Aktionen folgen zu lassen.“

www.aeham-ahmad.com/de

Politisch engagierter Künstler

Biografie: Aeham Ahmad wurde 1988 in Jarmuk geboren, einem Vorort von Damaskus. Früh förderte sein blinder Vater sein musikalisches Talent. Mit vier Jahren begann Aeham Keyboard zu spielen, mit sieben erhielt er Klavierunterricht im renommierten Arabischen Institut in Damaskus. Später studierte er Musikpädagogik in Homs.

Leben im Flüchtlingslager: Ab Sommer 2013 war Yarmouk vollständig abgeriegelt, mehr als 100 Menschen verhungerten. Dagegen protestierte der Künstler, der sich nach eigenem Bekunden sehr für Politik interessiert. Er lud sein altes Ukraina-Klavier auf einen Rollwagen. Damit spielte er in den Ruinen, um gegen den Hunger zu protestieren. Vor allem aber, um den Menschen in seinem Viertel Hoffnung zu geben. Im April 2015 brachte die Terrorarmee IS das Viertel unter seine Kontrolle. Wegen politischer Verfolgung und Repressionen musste er 2015 über die Balkanroute flüchten.