Hazbije Bajrami leidet, die älteste Tochter darf als Einzige aus der Familie in Deutschland bleiben. Foto: Holzwarth - Holzwarth

25 Jahre lang hat Familie Bajrami in Wolfschlugen gelebt. Sie war gut integriert, Eltern und Kinder hatten Arbeit oder waren gut in der Schule. Trotzdem wurden sie abgeschoben. Nur eine Tochter durfte bleiben. Eine Initiative startete eine Petition für die Rückkehr der Familie.

WolfschlugenNach 25 Jahren in Deutschland wurde die Familie Bajrami aus Wolfschlugen nach Mazedonien abgeschoben, in ein Land, das sie kaum kennt. Nur die älteste Tochter bleibt allein zurück. Die Familie steht in einem fremden Land vor dem Nichts. Im Internet wurde eine Petition für ihre Rückkehr gestartet, fast 70 000 Menschen haben sie bereits unterstützt, bisher ohne Erfolg.

Die 16-jährige Lejla liegt in ihrem Bett und lernt für die Abschlussprüfung an der Realschule. Ihre kleine Schwester, die zehnjährige Elife, schläft bereits. Als es um 22.30 Uhr an der Tür klopft, wird sie wach. Als Mama Gjilsime die Tür öffnet, betreten fünf Polizisten die Wohnung in Wolfschlugen. Sie sagen nicht viel – nur, dass die Familie das Nötigste zusammenpacken und mitkommen soll. Sie würden heute noch nach Mazedonien ausgeflogen. Jeder darf genau ein Gepäckstück mitnehmen.

Als Papa Isa von der Spätschicht nach Hause kommt, sitzen zwei Töchter, Sohn Omer und seine Frau bereits im Polizeiwagen vor der Wohnung. Die Beamten sagen ihm, er solle schnell einige Sachen holen und sich dann zu seiner Familie setzen . Im Flur trifft er seine älteste Tochter, die 23-jährige Hazbije, denn für Hazbije gibt es keinen Abschiebebescheid. „Dann umarmte mich mein Vater und sagte, dass ich auf mich aufpassen soll. Danach wurden sie weggebracht.“

Eigentlich schon längst angekommen

Als Hazbije von jenem Tag im Januar erzählt, kämpft sie damit, ihre Tränen zurückzuhalten, bis es nicht mehr geht. Von jenem Tag, an dem ihre Familie nach 25 Jahren ihr Zuhause verlor und sie allein zurückblieb. Das Regierungspräsidium Karlsruhe schreibt in einer E-Mail von „aufenthaltsbeendenden Maßnahmen“, die man in dieser Nacht angewandt habe, in der die Familie Bajrami alles verloren hat, was sie sich aufgebaut hatte. Vater Isa war seit elf Jahren berufstätig, Sohn Omer hatte seit fünf Jahren eine Festanstellung als Elektriker. Die 16-jährige Lejla stand kurz vor ihrem Realschulabschluss.

Hazbije arbeitet in Kirchheim als pharmazeutisch-technische Assistentin. Laut Regierungspräsidium Karlsruhe wurde sie nicht abgeschoben, weil die mazedonische Regierung sie nicht als Staatsbürgerin ansieht. In Mazedonien ist die Familie „bei Bekannten untergekommen und lebt zu fünft in einem kleinen Zimmer“, sagt Hazbije. Die Bajramis gehören zur albanischen Minderheit in Mazedonien. Nur Vater Isa spricht ein wenig Mazedonisch. In die Schule können die Kinder nicht gehen, da sie die Sprache nicht sprechen und für die Schulgebühren kein Geld da ist. Die Familie lebt von den Ersparnissen des Vaters und des Bruders. Die einzige Verbindung Hazbijes zu ihren Eltern und den Geschwistern ist das Handy: „Meine kleinste Schwester weint sehr viel. Sie vermisst ihre Freunde. Meine ältere Schwester Lejla ist wütend, weil man ihr den Schulabschluss genommen hat.“

Durchkreuzte Zukunftspläne

Lejla wollte nach der Realschule ein Gymnasium besuchen und später eine Ausbildung zur medizinisch-technischen Radiologieassistentin machen. Die zehnjährige Elife besuchte die Geschwister-Scholl-Realschule in Nürtingen. In Mazedonien sieht die albanische Tradition für sie nur die Rolle als Mutter und Hausfrau vor. „Sie wollen einfach nur nach Hause kommen. Ich möchte nur meine Familie zurückhaben“, sagt Hazbije unter Tränen.

Isa Bajrami kam 1993 nach Deutschland, ein Jahr später folgten seine Frau Gjilsime und Sohn Omer. „Sie sind vor dem Balkankonflikt geflohen“, sagt Hazbije. Die Asylanträge der Eltern wurden als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Bei dem Jungen diagnostizierten die Ärzte in Deutschland einen angeborenen Herzfehler, weshalb für ihn ein Abschiebungsverbot verhängt wurde. Es wurde 2002 aufgehoben. 1995, 2001 und 2007 kamen die anderen drei Kinder zur Welt. Auch für sie wurden Asylanträge gestellt und allesamt abgelehnt. 25 Jahre lang lebte die Familie Bajrami mit Duldung in Deutschland.

Landesweit ist für Abschiebungen und Duldungen das Regierungspräsidium in Karlsruhe zuständig. „Die Aufenthaltsbeendigung konnte zunächst aufgrund des bestehenden Abschiebungsverbots, später aufgrund der jeweiligen Asylverfahren für die nachgeborenen Kinder und weiterer aufenthaltsrechtlicher Verfahren nicht erfolgen“, erklärt die Behörde die lange Duldung: „Mehrfache Anträge auf Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen wurden erfolglos gestellt. Die Familie war daher vollziehbar ausreisepflichtig.“

Neuregelung des Bleiberechts

Nicht angewandt wurde bei Familie Bajrami die 2015 in Kraft getretene Neuregelung des Bleiberechts. Sie soll Schicksale wie das der Bajramis verhindern. Nach § 25a soll jugendlichen Ausländern, die sich seit vier Jahren geduldet in Deutschland aufhalten, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. § 25b des Aufenthaltsgesetzes spricht einem „gut integrierten Ausländer“ eine Aufenthaltserlaubnis zu, der sich seit mindestens acht Jahren im Bundesgebiet aufhält. Bei Ausländern mit minderjährigen Kindern reicht eine Aufenthaltsdauer von sechs Jahren. Außerdem muss er „überwiegend selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen und über Deutschkenntnisse auf A2-Niveau verfügen“. Voraussetzungen, die die Familie Bajrami erfüllt.

Zuständig für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist die Untere Ausländerbehörde des Landratsamts Esslingen. „Gewisse Voraussetzungen sind nicht erfüllt worden“, lautet die Begründung am Telefon, wieso die Familie Bajrami nicht unter die Aufenthaltsregelung fällt. Welche das sollen, wollte man nicht ausführen und verwies uns an das Regierungspräsidium in Stuttgart. Dort scheint man die Aufenthaltsregelung ganz anders auszulegen: Der fehlende Aufenthaltstitel sei der Grund, wieso die Bleiberechtsregelung nicht greift: „Das dürfte (. . .) der Hauptgrund sein, warum die Familie nicht unter die Bleiberechtsregelungen (insbesondere § 25b AufenthG) fällt“, teilt die Pressestelle mit. Dabei soll die Neuregelung doch genau diesen Menschen helfen, die über Jahre keinen Aufenthaltstitel bekommen.

Unterstützung wächst

Nachdem sich ein immer größerer Unterstützerkreis in Wolfschlugen und Nürtingen rund um die Familie Bajrami gegründet hat, sagten auch Politiker ihre Unterstützung zu und schrieben an das Innenministerium. Innenminister Thomas Strobl (CDU) antwortete der Grünen-Landtagsabgeordneten Andrea Lindlohr: „Insbesondere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für gut integrierte geduldete Ausländer nach §§ 25a und b AufenthG scheiterte, da die Familie ihre Passpflicht nicht erfüllte.“ Die Familie habe sehr wohl versucht, mazedonische Pässe zu bekommen, sagt Hazbije: „Wir waren sogar im Konsulat in München. Dort sagte man uns, wir müssten erst nach Mazedonien, um den Antrag zu stellen. Aber wie denn ohne Papiere?“ Eine Rückkehr der Familie Bajrami nach Deutschland ist laut Regierungspräsidium Stuttgart eher unwahrscheinlich: „Infolge der Abschiebung besteht eine Sperrwirkung für die Wiedereinreise.“ Sie gelte auch für Besuche.

Tochter Hazbjie kämpft gemeinsam mit dem Helferkreis für eine Rückkehr der Familie. Auf www.change.org/bajrami werden Unterschriften gesammelt. Zusätzlich liegen im Rathaus Wolfschlugen und in der Kulturkantine der Alten Seegrasspinnerei in Nürtingen Unterschriftenlisten aus.