An Bahn, Plochinger Dreieck und am Hundertwasserhaus führt die Schorndorfer Straße hinauf Richtung Schurwald: Plochingen spürt die Last und Lust seiner Lage. Foto: Franke - Franke

Der Plochinger Gemeinderat hat ein gesamtstädtisches Mobilitätskonzept in die Wege geleitet. Es soll eine neue Zielausrichtung für die Entwicklung der Verkehrsinfrastrukur bis 2030 liefern.

PlochingenDie Seilbahn, die Oliver Bausch vom Verbandsbauamt ganz am Schluss in seiner Powerpoint-Präsentation gezeigt hat, brachte zwar manch einen in der Plochinger Ratsrunde noch zum Schmunzeln. Wird so eine schwebende Verbindung irgendwann einmal die Landratsamts-Mitarbeiter vom Plochinger Bahnhof hinauf zur künftigen Behördenfiliale auf den Stumpenhof bringen? Wer weiß. Bausch hat das Foto nicht kommentiert. Für SPD-Stadträtin Dagmar Bluthardt stand die Seilbahn jedenfalls für „ein zensurbefreites Denken“, mit dem man an das erste Plochinger Gesamtkonzept für den Verkehr herangehen sollte.

Der Gemeinderat hat am Dienstag einstimmig die umfangreiche Leistungsbeschreibung abgesegnet, auf die das künftige „Mobilitäts- und Verkehrsentwicklungskonzept“, kurz „MOVE 2030“ eine Antwort geben soll. Es soll eine neue Ziel – und Strategieausrichtung für die Entwicklung und den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur bis zum Zieljahr 2030 liefern. Und zwar für die Gesamtstadt. Auf dieser Basis soll die Verwaltung das Paket nun ausschreiben und die Vergabe an ein Planungsbüro vorbereiten.

Plochingen ist Verkehrsknotenpunkt

Die Lage am Zusammenfluss von Neckar und Fils hat Plochingen schon früh zum Verkehrsknotenpunkt gemacht. Dazu kommen Lust – sprich Mobilität- , aber auch Last – sprich Lärm – durch die Bahn. Und als Endpunkt der Neckarschifffahrt ist auch der Hafen auf gute Vernetzungen mit den anderen Verkehrsträgern angewiesen. Mehr als 18 000 Fahrzeuge rollen dazuhin jeden Tag über die untere Schorndorfer Straße – und die Erschließung neuer oder geplanter Bauflächen auf dem Stumpenhof oder in den Schafhausäckern sind weitere Herausforderungen für diese Achse. Zudem bedeutet Nachverdichtung oft Parkplatznot, wie aktuell das Beispiel Stuifenstraße zeigt.

Zwar gab es ab den 1970er-Jahren auch fußgängerfreundliche Ansätze in der städtischen Verkehrsentwicklung – man denke nur an den Umbau der Marktstraße in eine Fußgängerzone – dennoch dominieren der motorisierte Individualverkehr und die häufig am Gehweg abgestellten Autos das Straßenbild in weiten Teilen der Stadt nach wie vor. Und bei zunehmendem Verkehrsaufkommen ist es nach wie vor der motorisierte Individualverkehr, der den weitaus breitesten Raum im Verteilerkuchen von Autos, Fußgängern, Radfahrern und ÖPNV-Nutzern ausmacht, wie Oliver Bausch dem Gremium verdeutlichte.

In den vergangenen Jahren gab es schon zahlreiche Untersuchungen zu einzelnen Themen- und Problemfeldern – natürlich zur Schorndorfer Straße, aber auch für den westlichen Teil der Eisenbahnstraße, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die sollen auch in die Gesamtschau aufgenommen, mit aktuellen Zahlen unterlegt und bewertet werden. Zudem soll das Konzept auch die Verkehrsverlagerungen, Konfliktstellen und Widersprüche im Blick haben – wenn es zum Beispiel darum geht, die Esslinger Straße möglicherweise über die östliche Eisenbahnstraße zu entlasten und zugleich den Bahnhofsvorplatz aufzuwerten und die Schulwegsicherung zu gewährleisten. Eingang in das Konzept soll auch der geplante Radschnellweg zwischen Reichenbach und Stuttgart finden.

Das Planungsbüro, das den Zuschlag erhält, soll aber nicht nur den Ist-Zustand aufnehmen, sondern auch den absehbaren Wandel im Mobilitätsverhalten wie die Elektromobilität oder die Idee der Gemeinschaftsautos. Am Ende soll ein Handlungs- und Maßnahmenkonzept stehen. Dabei verfolge man das grundsätzliche Ziel, den heutigen Schwerpunkt des motorisierten Individualverkehrs zugunsten eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Autos, ÖPNV, Fußgängern und Radlern zu verschieben, heißt es in der Vorlage. Die Vernetzung der verschiedenen Verkehrsträger werde noch mehr Gewicht bekommen. Die Stadt erwartet sich von dem Konzept aber auch eine belastbare Entscheidungsgrundlage für zukünftige Investitionen im Verkehrsbereich.

Sie geht von einer Bearbeitungszeit von rund zwei Jahren und Honorarkosten von 120 000 Euro netto aus, dazu kommen noch Gebühren für Projektleistungen. „Wir packen mit unserem Verkehrskonzept ein ganz wichtiges Thema an, bei dem viele ihre Meinung kundtun werden“, kündigte Bürgermeister Frank Buß auch eine intensive Bürgerbeteiligung an. Und es sei klar, dass diese Meinungen teilweise sehr widersprüchlich ausfallen würden. Umso wichtiger sei es, dass die Stadt eine gute und transparente Grundlage für ihre Entscheidungen bekomme.

Das erwarten die Stadträte von einem gesamtstädtischen Verkehrskonzept

Dagmar Bluthardt (SPD) hofft, dass am Ende konkrete Maßnahmen „und nicht nur allgemeine Weisheiten“ stehen. Zudem sei es der SPD wichtig, die Bevölkerung zu beteiligen. In das Konzept sollten auch aktuelle Anregungen einfließen. Die SPD könne es sich gut vorstellen, den Verkehr auf der Schorndorfer Straße und vor dem Bahnhof „einen Stock tiefer zu legen“. Unterm Strich biete das Vorhaben eine „seltene Chance auf grundlegende Neuerung“.

Ralf Schmidgall (CDU) bewertet die aktuelle Verkehrssituation in Plochingen als „nicht wirklich schlecht, aber so nicht zukunftsfähig“. Das Konzept werfe grundsätzliche Fragen auf. Etwa danach, wie viel Verkehr die Straßen noch vertragen würden und ob man überhaupt noch neue Baugebiete erschließen könne, ohne den Kollaps zu riskieren. Es müsse auch klar sein, dass die Verkehrswende nicht zu einem Tag X stattfinde. „Der Individualverkehr wird außerhalb der Städte auch weiterhin dominieren.“

Stefan Kirchner (Offene Grüne Liste) sprach von einem sehr langfristigen und sehr umfassenden Projekt, das alle Verkehrsteilnehmer und alle Trends aufnehmen und teils sehr kleinteilige Aufgabenbereiche bearbeiten solle. Ein sechsstelliger Betrag, der dafür im Raum stehe, sei da schon gerechtfertigt. Auch die OGL erwartet, dass am Ende konkrete Aussagen stehen. Zudem hoffe man, dass es auch keine Denkverbote gebe, wenn man auf manchen Hauptverkehrsachsen Tempo 30 einführen wolle.

Die Freien Wähler haben sich in der Sitzung nicht explizit zum Thema geäußert, aber der Vorlage ebenso zugestimmt wie die anderen Stadträte.