Mit einer relativ milden Strafe endete ein Prozess vor dem Esslinger Amtsgericht. Foto: Tom Weller - Tom Weller

Ein 48-Jähriger aus Ostfildern musste sich am Dienstag vor dem Esslinger Amtsgericht verantworten.

Ostfildern/EsslingenDass zwischen Aktenlage und der tatsächlichen Gerichtsverhandlung Welten liegen können, hat sich am Dienstag am Esslinger Amtsgericht gezeigt. Angeklagt war ein 48-Jähriger aus Ostfildern. Ihm wurde vorgeworfen, einen damals Zwölfjährigen an zwei Tagen vor dem 18. Mai 2017 über dessen Hose am Geschlechtsteil berührt und dieses gestreichelt zu haben. Zudem sollte der Angeklagte zwei Nacktbilder von sich selbst in sexuell erregtem Zustand gemacht und an einen 16-jährigen Jugendlichen geschickt haben. Des Weiteren wurden bei einer Hausdurchsuchung des Angeklagten kinder- und jugendpornografische Fotos und Videos in insgesamt vierstelliger Anzahl sichergestellt. Einige dieser Bilder beschrieb der Vertreter der Staatsanwaltschaft im Detail.

Der 48-Jährige zeigte sich am Dienstag im vollen Umfang geständig. Über seinen Verteidiger ließ er zunächst erklären, dass er „die Tatvorwürfe umfassend und ohne jede Einschränkung“ einräume. Er schäme sich für sein Verhalten und wolle sich in aller Form entschuldigen. Im weiteren Verlauf äußerte sich der Angeklagte dann doch noch ausführlich – nicht zu den Taten, denn dass er diese begangen hat, hatte er ja bereits zugegeben – sondern zu seinen pädophilen Neigungen und seinem Umgang damit. So berichtete er, dass er sich seit der Durchsuchung seiner Wohnung in psychologischer Verhaltenstherapie befinde. Diese hatte er bereits 2015 begonnen. Zunächst sei es dabei aber um eine Depression und um die Aufarbeitung seiner Vergangenheit und der Beziehung mit seinen Eltern gegangen. „Mein Sexualverhalten anzusprechen, war mir in der Therapie unmöglich.“ Nach der Hausdurchsuchung habe sich das geändert. „Als die Kripo plötzlich morgens vor der Tür stand, war das natürlich ein großer Hammer. Ich hatte zu dem Zeitpunkt vielleicht 600 Euro in der Tasche, und mir wurden – wahrscheinlich zurecht – alle Geräte, Datenträger sowie meine Handys weggenommen“, berichtete der Angeklagte. An dem Abend habe er dann auch versucht, Selbstmord zu begehen. „Nachdem ich diesen recht dämlichen Versuch überlebt habe, blieb mir nur der Weg nach vorne. Und ich bin überzeugt, dass das ein guter Weg ist. Ich musste mir eingestehen: Du hast Scheiße gebaut, jetzt steh dazu!“

Mit den Jungs auf einer Ebene

Der Angeklagte beschrieb in der Verhandlung auch seine Grundeinstellung, gefallen zu wollen und über Leistung zu gelten. Er habe darum darum im Alter zwischen 14 und 16 Jahren begonnen, sich in verschiedenen Vereinen zu engagieren. „Ich habe immer getan, was von mir erwartet wurde. Das hat sich irgendwann zu einem Automatismus entwickelt, der hervorragend dazu geeignet war, Tatsachen auszublenden und mich selbst zu belügen“, so der 48-Jährige.

Zu den Kindern und Jugendlichen, mit denen er Kontakt aufgenommen und die in der Anklage erwähnten Taten vollzogen hatte, habe er sich in einem gleichgestellten Verhältnis gesehen. „Ich habe mich auch altersmäßig auf einer Ebene mit den Jungs wahrgenommen. Dieses grenzenlose Verhalten, wie es Teenies gerne haben wollen, so habe ich mich auch verhalten.“ In der Therapie habe man seitdem herausgefunden, dass „der pubertierende Jugendliche in mir immer mehr Kontrolle über mein Leben erhalten hat“, wie er es ausdrückte. Als Grund dafür sieht er seine im Jugendalter unterdrückte Sexualität. „Die Therapie hat mir gezeigt, wie groß die Diskrepanz zwischen dem Verhalten eines normalen Erwachsenen und dem Leben ist, das ich mir als Single über die Jahrzehnte aufgebaut hatte“, sagte der Angeklagte. „Wenn ich online doch mal auf ein Bild gestoßen bin, wo bei mir das Bewusstsein aufblitzte, dass dahinter ein Missbrauchsfall steckt, konnte ich das gut ausblenden.“ Für dem Angeklagten sei es „eine Belastung und eine Riesenscham“, mit seinem Verhalten zu dem Leid von Kindern beigetragen zu haben.

Bewährung und Geldstrafe

Der Vertreter der Staatsanwaltschaft zeigte sich beeindruckt von dem Geständnis des Angeklagten und der Erklärung, die beschlagnahmten Datenträger, den Laptop und das Handy nicht wiederhaben zu wollen. Der Staatsanwalt ging in seinem Plädoyer auf die vier unterschiedlichen Taten ein, die in Tatmehrheit begangen worden waren. Für jede Ziffer setzte er zunächst eine Einzelstrafe fest und fasste diese am Ende zusammen. Sowohl bei den Fällen des sexuellen Missbrauchs als auch bei der ungebetenen Verbreitung von pornografischem Material an Minderjährige ließ er Milde walten. Es spreche für den Angeklagten, dass die Nacktbilder, die er weitergegeben hatte, ihn selbst gezeigt hätten. Bei dem Besitz von Kinder- und Jugendpornografie spreche schon die Menge gegen den Angeklagten. 1574 Bilder und neun Videos kinderpornografischer Natur sowie 2684 Bilder und 828 Videos jugendpornografischer Art seien bei der Hausdurchsuchung sichergestellt worden. „Insgesamt spricht für den Angeklagten, dass die Taten mittlerweile mehr als zwei Jahre zurückliegen, es keine Vorstrafen gibt, und der Angeklagte seitdem nicht wieder strafrechtlich in Erscheinung getreten ist“, sagte der Staatsanwalt. Er forderte zwei Jahre Haft auf Bewährung, eine empfindliche Geldstrafe und als Bewährungsauflage eine Fortsetzung der Verhaltenstherapie.

Die Forderung des Verteidigers lag nicht wesentlich unter der der Staatsanwaltschaft. Er hielt eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung für angemessen.

Richter Nico Niese legte sich auf eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und zehn Monaten fest, die für vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt wird. Der Angeklagte muss außerdem seine Therapie für zwei Jahre fortsetzen, bekommt für drei Jahre einen Bewährungshelfer zur Seite gestellt, und muss 1800 Euro an den Weißen Ring zahlen. Wäre er nur nach der Aktenlage gegangen, so der Richter, wäre eine Bewährung nicht infrage gekommen. Aber das Verhalten des Angeklagten habe ihn bewogen, Milde walten zu lassen. „Die lange Bewährung ist für Sie auch eine Chance“, sagte er, und gab dem Angeklagten noch eindringliche Worte mit auf den Weg: „Sie müssen immer im Hinterkopf behalten, dass Sie Leid verursachen, wenn Sie solche Handlungen tätigen. Das Anschauen von Kinderpornografie ist der Konsum von bereits produziertem Leid.“