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Die MeToo-Debatte bekommt auch Kirchheim zu spüren. Bei „Kompass“, der dortigen Beratungsstelle bei sexueller Gewalt, gehen inzwischen mehr Anfragen ein. Die Experten setzen vor allem auf Prävention.

KirchheimIm Oktober 2017 war publik geworden, dass der Filmproduzent Harvey Weinstein mehrere Frauen sexuell belästigt, genötigt und vergewaltigt haben soll. Mit dem Schlagwort „MeToo“ (zu Deutsch: Ich auch) zeigen seither Menschen auf der ganzen Welt über soziale Medien Mitgefühl und ermutigen Opfer sexueller Gewalt, sich gegen ihre Peiniger zu wehren.

Die Debatte wirkt sich auch auf die Arbeit der Beratungsstelle Kompass in Kirchheim aus. „Wir haben zwar nicht erlebt, dass mehr Menschen deswegen zu uns kommen“, sagt Leiterin Angelika Hutt-Schönwald. „Aber wir bekommen viel mehr Anfragen von Institutionen.“ Es gehe überwiegend darum, wie die Klientel durch Prävention und Handlungsleitfäden geschützt werden kann. Dazu gehöre erst einmal eine Analyse: „Wir schauen, was strukturell verändert werden kann, damit dem Missbrauch nicht zugearbeitet wird.“ Dazu gehöre beispielsweise die Anpassung von Hierarchien. „Bei starken Hierarchien ist es unwahrscheinlicher, dass betroffene Kinder sich über einen Vorfall äußern“, so die Kinder- und Jugendlichentherapeutin.

In der Beratungsstelle werden überwiegend Kinder und Jugendliche ab zehn Jahren beraten. In den vergangenen beiden Jahren waren das insgesamt 265. Jüngere betroffene Kinder seien oft bereits in psychischer oder kindertherapeutischer Behandlung. In diesen Fällen setzt Kompass den Schwerpunkt der Beratung auf die Arbeit mit ihren Bezugspersonen und den betreuenden Fachkräften.

„Bezugspersonen sind alle, die in irgendeiner Weise im näheren Umfeld der Betroffenen sind“, erklärt Hutt-Schönwald. „Dazu zählen in erster Linie die Eltern, aber auch Stiefeltern, Oma und Opa, die Nachbarin oder eine Tagesmutter.“ Zu Fachkräften zählen die Personen, die über einen professionellen Kontext Kontakt zu Betroffenen haben. Das können Erzieher, Lehrer, Sozialarbeiter und -pädagogen, aber auch Lehrer sein.

Den Fachkräften rät die Therapeutin, auch zu Kompass zu kommen, wenn kein konkreter Hinweis auf einen sexuellen Übergriff besteht. „Wir schauen uns den Fall in Ruhe an und können dann beurteilen, ob die Sorge begründet ist oder nicht“, so Hutt-Schönwald. In der Beratung können Tipps für weitere Recherchen gegeben werden: „Die Frage ist oft, ob die Auffälligkeiten mit etwas anderem zu tun haben könnten.“ Oftmals seien Veränderungen zu Hause, wie eine Scheidung der Eltern, der Grund dafür, dass Kinder sich plötzlich anders benehmen als bisher.

Den meisten Fachkräften läge jedoch ein konkreter Hinweis vor. In diesen Fällen gehe es in der Beratung durch Kompass meist darum, wie sowohl mit dem Opfer als auch mit dem Beschuldigten umgegangen werden kann und welche Schritte als Nächstes nötig sind. „Manchmal ist es ein längerer Prozess, weil wir in einem Gespräch nur erste Schritte besprechen können, bevor dann Weiteres geplant wird“, sagt Hutt-Schönwald.

Wegen des Ausscheidens eines Kollegen und der damit verbundenen Unterbesetzung reduzierte sich die Anzahl der Beratungskontakte im Jahr 2018 über die Hälfte auf 361 im Vergleich zum Vorjahr mit 789. „Auch in Unterbesetzung konnten wir alle Anfragen bedienen“, versichert Hutt-Schönwald. Die Arbeit sei in den vergangenen zwei Jahren nicht weniger geworden, nur die Häufigkeit der Beratung habe eingeschränkt werden müssen: „Anstatt einer wöchentlichen Beratung war nur ein Termin alle zwei Wochen möglich.“

Kompass bietet Beratung für alle Menschen bis zum 26. Lebensjahr an. „Leider können wir Ratsuchenden über 27 Jahren ohne Kinder im Haushalt nur bis zu drei Orientierungsgespräche anbieten“, so die Therapeutin. Daran habe die Vollbesetzung nichts geändert. Für Erwachsene über 27 Jahren, die mit einem Kind im Haushalt leben, sind bis zu 25 Beratungsstunden eingeplant. Bei einem Termin alle zwei Wochen könne man so ein Jahr Hilfestellung geben, so Hutt-Schönwald.