Hildegard Ruoff (links) rezitiert ein Gedicht von Rilke, Karl Rein und Sonja Spohn sind begeistert. Foto: Dietrich Quelle: Unbekannt

Von Peter Dietrich

Wohl dem, der mit 98 Jahren noch Rainer Maria Rilke rezitieren kann, und das ganz ohne Zettel. So tat es eine strahlende Hildegard Ruoff, als ihr der Geschichts- und Kulturverein Köngen in der Zehntscheuer den Daniel-Pfisterer-Preises überreichte. Ob jemand hörenswert ist und Leben versprüht, ist keine Frage des Alters. So lieferten bei der Verleihung auch drei junge Musiker der Musikschule Köngen-Wendlingen eine beeindruckende Vorstellung: Franziska Höffler (Querflöte), Johannes Krispin (Saxophon), Emily Sedlacek (Sopran). Die Solisten wurden vom Schulleiter Jörg Dobmeier begleitet.

Der Star des Abends war aber Hildegard Ruoff. Was sie in anderen Menschen bewirken kann, das berichtete die Laudatorin Susanne Ackermann, Leiterin des Kulturamts Nürtingen: Mit der Preisträgerin und einer weiteren Begleitung war sie zu Besuch bei einem sehr namhaften Künstler. Zwei Monate später sollte eine Ausstellung mit ihm beginnen, die Werbung lief. Da ließ dieser Künstler die Bombe platzen: Leider müsse er die Ausstellung absagen, er habe eine Schaffenskrise und keinen Bezug mehr zu seinen Bildern. Die Gruppe nahm dennoch am Kaffeetisch Platz, in drei Stunden lenkte Ruoff das Gespräch vorsichtig in Richtung Kunst und Krise. Dann bat sie den Künstler, da sie sehr neugierig sei, dessen Werke dennoch einmal sehen zu dürfen, sie gehe auch gerne alleine ins Atelier. Weitere zwei oder drei Stunden später waren die Bilder ausgewählt, die Ausstellung stand. Die Ehefrau des Künstlers umarmte die Besucher herzlich, hatten sie doch ihrem Mann aus einer Schaffenskrise geholfen.

Viele junge Künstler hat Ruoff unterstützt. „Sie formulieren es so, dass man es annehmen kann“, sagte Ackermann: „Wir haben uns 1990 kennengelernt, Sie haben mich bis heute beruflich und privat auf wunderbare Art begleitet.“ Die Preisträgerin habe eine „preußische Erziehung“, profitiere bis heute von Mut, Selbstdisziplin und Besinnung auf Wesentliches. Doch diese Eigenschaften, die einschüchternd wirken könnten, seien bei ihr mit Humor und Selbstironie gepaart.

Nach der Heirat mit dem jungen Künstler Fritz Ruoff zog sie zu ihm nach Nürtingen. Dort eröffnete sie 1947 für die Arbeiterwohlfahrt eine Leihbücherei. Sie begann mit 30 Büchern, erbettelte von Verlagen Remittenden oder beschädigte Bücher. Als der junge Peter Härtling die Bücherei ausgelesen hatte, las er aus der privaten Bibliothek der Ruoffs weiter, es wurde eine lebenslange Freundschaft daraus. Hildegard Ruoff bringt seit mehr als 50 Jahren ihr Wissen und ihre Kontakte in den städtischen Kunstausschuss Nürtingens ein.

Für ihren 1986 verstorbenen Mann erledigte sie den Schriftverkehr, bereitete Ausstellungen vor, entwarf Faltblätter, setzte seine Entwürfe für Paramente in Kirchen stickend um. Heute verwaltet und ordnet sie seinen künstlerischen Nachlass. 2003 hat sie gemeinsam mit der Stadt Nürtingen die Fritz und Hildegard Ruoff-Stiftung gegründet. Mit vier Ausstellungen pro Jahr bietet diese zeitgenössischen Künstlern ein Forum. „Sie erweitern in der Schellingstraße Horizonte und Blickwinkel, durch Sie wird Zeit- und Kunstgeschichte lebendig“, lobte Ackermann.

Nun hat Ruoff nach der Nürtinger Bürgermedaille in Gold und der Staufermedaille des Landes Baden-Württemberg auch den Daniel-Pfisterer-Preis erhalten. Seit 2000 vergibt ihn der Geschichts- und Kulturverein Köngen alle zwei Jahre. Er geht, so der Vorsitzende Karl Rein, an Menschen, die sich „mit ihrer Welt in außergewöhnlicher Weise kritisch, wachsam und kreativ auseinandersetzen oder auf ein außergewöhnliches Lebenswerk im Dienste von Kultur, Natur und Geschichte zurückblicken können“. So wie Hildegard Ruoff. Deren Rezept, wie sie so fit geblieben ist, klingt einfach: „Durch die Liebe, die Kunst und meine Neugier.“