Die Abfahrt von der Adenauerbrücke in Esslingen ins Gewerbegebiet Oberesslingen. Foto: Archivbild Franke - Archivbild Franke

Von Melanie Braun

Die Wirtschaft in der Region Stuttgart boomt. Dennoch sind in den vergangenen vier Jahren mehr Unternehmen aus der Region weggezogen als neu gekommen sind. Im Kreis Esslingen gilt dieser Trend allerdings nicht: Hier sind zwischen 2013 und 2016 insgesamt 73 Firmen mehr zu- als fortgezogen, wie eine aktuelle Studie der Industrie- und Handelskammer (IHK) Stuttgart zeigt. Damit steht der Kreis in der Region am besten da. Für Experten ist das jedoch kein Grund zum Jubeln.

Denn sie sehen den Negativtrend in der Region als Schuss vor den Bug: Man müsse schauen, dass die Kommunen in der Region attraktive Standorte für Unternehmen bleiben. Zumal es sich angesichts der absoluten Zahlen im Kreis Esslingen nur um ein vergleichsweise knappes Plus handelt. Denn insgesamt sind in den vergangenen vier Jahren 478 Unternehmen aus dem Kreis Esslingen fort- und 551 Firmen hergezogen. Dabei hat der Landkreis laut IHK-Studie auch von Umzügen aus der Landeshauptstadt profitiert: Die meisten Unternehmen hätten Stuttgart in Richtung Esslingen und Rems-Murr-Kreis verlassen, heißt es hier.

Der IHK-Hauptgeschäftsführer Andreas Richter sagt dazu: „Die Studie offenbart einen klaren Trend raus aus der Stadt.“ Für ihn haben unter anderem Defizite in der Verkehrsinfrastruktur, ein Mangel an geeigneten Gewerbeflächen und drohende Fahrverbote zu dieser Entwicklung beigetragen. Und er befürchtet Schlimmeres: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das aktuelle Dauerfeuer gegen Automobilhersteller, Verkehr und Wirtschaft an den Unternehmen einfach so vorbeigeht.“ Vielmehr würden viele Betriebe nun intensiv prüfen, ob sie eine dauerhafte Perspektive in der Region sehen.
Ähnlich sieht das Markus Grupp, Wirtschaftsförderer des Landkreises Esslingen. Es sei zu kurz gedacht, sich jetzt nur über den positiven Saldo vor Ort zu freuen. „Wir müssen die Region als einen Standort sehen“, sagt Grupp. Und dieser habe in den vergangenen Jahren mehr Unternehmen verloren als gewonnen. Diese Entwicklung sehe er kritisch. Denn letztlich sei eine Verlagerung der Firmen von innen nach außen zu beobachten: Wer in Stuttgart keine Flächen zur Weiterentwicklung seines Unternehmens finde, weiche zunächst in die nähere Umgebung aus.

Aber auch in den Nachbarkommunen der Landeshauptstadt wie in Esslingen oder auf den Fildern gebe es ja kaum noch freie Flächen für Gewerbe. Deswegen verlagerten viele Firmen ihren Sitz von hier noch weiter in die Außenbereiche. Meist versuche man, nicht allzu weit wegzuziehen, um seine Fachkräfte halten zu können. Aber klar sei, dass es auch im Kerngebiet der Region Arbeitsplätze geben müsse, damit sie attraktiv bleibe. Deshalb gelte es, zu schauen, wo noch Gewerbeansiedlung möglich sei.

Dafür plädiert auch Michael Kuschmann, der stellvertretende Leiter der IHK-Bezirkskammer Esslingen-Nürtingen. „Man sollte der Entwicklung nicht tatenlos zuschauen“, sagt er. Vielmehr müsse das Ergebnis der IHK-Studie ein Warnschuss sein. Es gehe darum, den Firmen das zu bieten, was sie brauchen. Die Lösung könne allerdings nicht sein, alles zuzubetonieren: „Die Flächen hier sind endlich“, betont Kuschmann. Aber vielleicht könne man auch beim Gewerbe verstärkt auf Innenentwicklung sowie auf interkommunale Kooperationen setzen.

Nicht ganz klar ist laut Kuschmann allerdings, warum der Kreis Esslingen in den vergangenen Jahren stärker von den Firmenumzügen profitiert hat als die anderen Landkreise in der Region Stuttgart. Natürlich gebe es hier Vorzüge wie die Nähe zum Flughafen und zur Autobahn und die gute S-Bahnanbindung. Aber in den anderen Kreisen sehe es nicht so viel schlechter aus – zumal Stauprobleme und fehlende Gewerbeflächen fast überall Thema seien.

In Kirchheim hingegen meint man, die Gründe für das gute Abschneiden in der IHK-Studie zu kennen. Die Stadt ist mit einem Plus von 32 Firmenzuzügen der Spitzenreiter in der Region. Laut Bürgermeister Stefan Wörner ist das ein erfreuliches Ergebnis, das die Ergebnisse von verschiedenen Befragungen der Stadtverwaltung unter Betrieben zu ihrer Zufriedenheit mit dem Standort widerspiegele. Ein Zusammenhang zwischen dem guten Ergebnis und der hohen Priorität des Themas Wirtschaftsförderung in der Stadt sei durchaus denkbar, sagt Wörner.
In der Stadt Esslingen haben sich in den vergangenen vier Jahren drei Firmen mehr angesiedelt als weggezogen sind. Von der Stadt war zu dem Ergebnis gestern keine Stellungnahmen zu bekommen.

Ergebnisse der IHK-Studie

Region: In den Jahren 2013 bis 2016 sind 1177 Unternehmen in die Region Stuttgart gezogen und 1216 Firmen weggezogen. Unterm Strich sind also 39 Betriebe weniger gekommen als fortgegangen sind. Zwischen 2005 und 2008 war der Umzugssaldo noch mit 288 Unternehmen positiv, von 2008 bis 2012 lag das Plus noch bei 60 Firmen.

Kreise: Die Stadt Stuttgart hat 198 Firmen (1,03 Prozent der Unternehmen) mehr verloren als sie dazu gewonnen hat. Der Kreis Esslingen hat mit einem positiven Saldo von 73 Betrieben (0,63 Prozent) in der Region die Nase vorn, gefolgt vom Rems-Murr-Kreis mit einem Plus von 58 Firmen (0,7 Prozent). In den Kreis Göppingen kamen 19 Unternehmen mehr als wegzogen (0,39 Prozent) und der Kreis Böblingen weist ein Plus von 10 Unternehmen auf (0,12 Prozent). Der Kreis Ludwigsburg hingegen hat einen negativen Saldo von 1 Betrieb (0,01 Prozent).

Kommunen: Bei den Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern in der Region Stuttgart liegt Kirchheim/Teck mit einem Plus von 32 Betrieben auf Platz eins, gefolgt von Fellbach mit einem positiven Saldo von 26. Im Kreis Esslingen schneiden vor allem Leinfelden-Echterdingen (Plus von 21 Unternehmen), Filderstadt (Plus von 20 Firmen) und Nürtingen (Plus von 19 Betrieben) noch gut ab. Die Stadt Esslingen hat mit 118 Wegzügen und 121 Neuansiedlungen per Saldo drei Firmen dazugewonnen. Ostfildern hingegen schneidet mit einem Minus von 15 Firmen (71 Zuzüge, 86 Fortzüge) am schlechtesten ab bei den großen Kommunen im Landkreis. Schlusslichter sind Remseck mit einem Minus von 29 Firmen und Göppingen mit einem negativen Saldo von 21 Unternehmen.

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