Foto: Bail Quelle: Unbekannt

Von Petra Bail

Kann man in einer Galerie auf die schiefe Bahn geraten? In Ostfildern ist das ganz leicht. Dort findet bis 16. Januar 2018 das Ausstellungs- und Kooperationsprojekt „mehrdimensional“ statt. Dafür hat der Künstler und Designer Tobias Ruppert eine schiefe Ebene geschaffen, die den großen Galerieraum für die Besucher völlig neu erfahrbar macht. Der rampenartige Holzkeil darf förmlich in Besitz genommen werden. Er ist begehbares Aktionsfeld und wandelt sich je nach Anlass zur Konzert- oder Theaterbühne.

Die Raumintervention soll in den kommenden Wochen Dreh- und Angelpunkt eines munteren Crossovers unterschiedlicher künstlerischer Disziplinen sein. Theater, Lesung, Konzert, Ausstellungen, Architektur und das Eintauchen in virtuelle Welten mittels digitaler Medien stehen auf dem ambitionierten Programm, das im Sinne der Ostfilderner Aktion, „sei mein Nachbar“, eine vergnügliche Plattform für den Austausch zwischen Bürgern und Künstlern bietet. Eingebunden sind professionelle Kunstschaffende ebenso wie Studenten und Schüler. Die Idee zur mehrdimensionalen Auseinandersetzung durch die unterschiedlichen schöpferischen Prozesse stammt von Ruppert. Für ihn quasi ein Heimspiel. Er lebt und arbeitet in Scharnhausen.

Großen Anklang, insbesondere bei den digital natives, also bei der jüngeren Generation, die in der digitalen Welt aufwächst, fanden die drei Arbeiten von Studenten der Hochschule der Medien Stuttgart aus dem Studienbereich „Virtual Reality“ und „Mixed Reality, betreut durch Professor Krešimir Vidackovic. Bei allen drei Projekten konnte man das Eintauchen in virtuelle Welten am eigenen Leib erfahren, vorausgesetzt man war bereit, sich eine 3D-Brille auf die Nase zu klemmen, die den simulierten Spaziergänger eher wie einen Tiefseetaucher aussehen ließ. Doch nicht nur Jugendliche standen Schlange, um sich dank der modernen Technologie, die bereits in der Industrie Verwendung findet, zu teleportieren; das heißt, sich an einen anderen Ort oder auf eine andere Ebene zu bewegen, ohne die Distanz physisch zu überwinden. Die jeweiligen Versuchskaninchen blieben mit beiden Beinen fest auf dem Galerieboden. Zuschauer konnten die Reise auf einem Bildschirm nachvollziehen.

Reise durch Dimensionen

Eine Besucherin war völlig fasziniert, von dem Gefühl im luftleeren Raum zu schweben. Sie unterlag, wie aller anderen auch, der Illusion einer Reise durch verschiedene Dimensionen - eine bewusste Sinnestäuschung, die Grenzen verschwimmen ließ und imaginär bis in die Unendlichkeit des Universums und der Wahrnehmung führte. Ein halbes Jahr hat Mareike Konz an diesem Projekt getüftelt, programmiert und vor allem modelliert.

Ein erweitertes Raumerlebnis machte die zweite Arbeit möglich. Galerieleiterin Holle Nann zeigte sich besonders angetan von den neuen Blickwinkeln und Perspektiven der nachmodellierten Galerie, wo sich hinter Glasscheiben, die üblicherweise graue Betonwände präsentieren, auf Knopfdruck eine saftig grüne Wiese zu sehen ist. Durch die Brille nahm man hinterm deckenhohen Fensterband Hochhäuser wahr, die in Wirklichkeit gar nicht da sind.

Auch hier konnte man sich durch den Raum teleportieren und virtuelle Kunstwerke auf Sockeln anordnen, wobei sich das Greifen als große Herausforderung darstellte, was Nann spaßeshalber mit dem Satz kommentierte: „Bitte sorgfältig mit den Exponaten.“

Eine gedanklich Zeitreise in eine vergangene Welt ermöglichen die neun Plakatentwürfe des Bildhauers und Gebrauchsgrafikers Mykola Pospolitak aus Ostfilderns Partnerstadt Poltava, die bis kommenden Sonntag, 19. November im Rahmen von „mehrdimensional“ zu sehen sind. Die Temperabilder aus den 80er-Jahren widmen sich dem Thema Umwelt- und Naturschutz und zeichnen sich durch eine große malerische Qualität aus, unterstreicht Ruppert die Bedeutung der farbintensiven Arbeiten. Der Spannungsbogen zwischen Zukunft und Vergangenheit hat seinen Reiz; zeitlich unterschiedliche Ebenen, die im Sinne des Konzepts ganz wunderbar mehrdimensional verschmelzen, auch wenn Nann die beiden verschiedenen Disziplinen lieber nicht in einem Atemzug genannt haben möchten. So ist das nun mal mit Crossover: Es wird vermischt, aber alles bleibt für sich erkennbar.

Am Donnerstag, 16. November, um 18 Uhr findet ein Galerieabend mit dem Künstler statt.