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Der Esslinger Kreistag hat neue Mietobergrenzen beschlossen. Während die SPD den sozialen Frieden gefährdet sieht, sagt Landrat Eininger: Niemand wird deshalb obdachlos.

Kreis EsslingenDie neuen Mietobergrenzen sind beschlossen. Der Esslinger Kreistag hat am Donnerstag nach heftiger Debatte dem sogenannten „schlüssigen Konzept“ mehrheitlich zugestimmt. Landrat Heinz Eininger verteidigte den Beschluss: „Niemand wird durch die Mietobergrenze in die Wohnungslosigkeit getrieben.“ Der Nachweis, dass es keine günstigere Wohnung gebe, sei jedoch unabdingbar. SPD, Linke und einige Grüne lehnten das Konzept ab. Die Gutachter gingen von falschen Voraussetzungen aus: Es gebe keine Leerstände und keine günstigeren Wohnungen für Hilfeempfänger. SPD-Sprecherin Solveig Hummel sah durch das Konzept gar den sozialen Frieden im Landkreis gefährdet.

Im Dezember 2016 hatte das Sozialgericht Stuttgart festgestellt, dass die Richtlinien des Landkreises zu den Mietobergrenzen nicht die Anforderungen des Bundessozialgerichts erfüllen. Die Kreisverwaltung hatte deshalb das Büro Rödl & Partner beauftragt, Daten gemeindegenau zu erheben und neue Grenzwerte zu berechnen. Nach den neuen Maximalwerten wohnen im Landkreis 1900 Bedarfsgemeinschaften „unangemessen“. Von den 176 neuen Grenzwerten sind 57 niedriger als bisher. Das nicht veröffentlichte Gutachten machte seine Runde und rief den Protest von Sozialverbänden hervor. Kurz vor der Kreistagssitzung haben noch die Oberbürgermeister aus Esslingen, Ostfildern, Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen, zwei davon mit CDU-Parteibuch, den Landrat gebeten, die Datenbasis zu überprüfen und das Konzept noch einmal zu diskutieren. Die SPD-Fraktion stieg deshalb mit einem Vertagungsantrag in die Sitzung ein.

Eininger wies den Antrag zurück. Dann müsste der Kreis die Wohngeldsätze nehmen und zehn Prozent Aufschlag zahlen. Diesen Aufschlag – in der Summe etwa 500 000 Euro – erstatte der Bund nicht. Schlimmer aber wäre, so Eininger, dass der Landkreis damit auf dem Wohnungsmarkt preistreibend wirken würde. Der SPD-Antrag wurde mit 49 zu 28 Stimmen abgelehnt.

Freie Wähler, CDU und FDP stellten sich in der Debatte hinter den Landrat, auch die Grünen zogen mehrheitlich mit. Das Problem seien nicht die Mietobergrenzen, sondern dass es kaum bezahlbaren Wohnraum gebe, sagte Bernhard Richter, Fraktionschef der Freien Wähler. Der Landkreis sei vom Gericht aufgefordert worden, ein schlüssiges Konzept vorzulegen, das liege nun vor. Entscheidend sei nun, wie die Verwaltung damit umgehe und welche Wirkung das Konzept habe. Wenn der Hilfeempfänger mitwirke und nachweise, dass er keine günstigere Wohnung finde, dann werde ihm nicht gekündigt. Es sei nicht vorstellbar, dass die Verwaltung ein Thema eskalieren lasse, und die Folgen – Obdachlosigkeit – hinterher auf dem Rücken der Gemeinden ausgetragen würden. Die Diskussionen um die Auswahl der Gutachter könne man bundesweit beobachten. Für Richter, so sagte dieser gegenüber unserer Zeitung, ist das „sozialpolitischer Wirbel“, um von der Stelle abzulenken, „wo man die letzten zehn bis 15 Jahre versagt hat“. Der soziale Wohnungsbau sei vernachlässigt worden, werde falsch gefördert und mit Vorschriften überladen. Ursula Merkle (CDU) verteidigte den Ansatz der Gutachter, es sei richtig, die Bestandsmieten einzubeziehen. Die „Mondmieten“, die man auf Online-Portalen finde, seien nur für wenige Vermögende gedacht.

Solveig Hummel (SPD) ließ an der Arbeit Rödls kein gutes Haar. Die Verwaltung habe eine Firma gebucht, die große Immobilienunternehmen berate. Nun wundere man sich, dass die Obergrenzen niedriger liegen als bisher – im Ballungsraum und in einer Zeit rasant gestiegener Mieten. Die Vergleichsräume seien falsch gebildet und die Annahme, es gebe eine Leerstandsreserve, führe zu falschen Schlüssen. Wohnen sei ein Grundbedürfnis, wenn Menschen um ihren Wohnraum bangen müssten, sei das „Sprengstoff für den sozialen Frieden“, so Hummel.

Gefühlsmäßig seien die Mietobergrenzen zu niedrig angesetzt, sagte auch Marianne Erdrich-Sommer (Grüne), aber Rödl halte sich nur an die Vorgaben des Gerichts. Am Konzept könne sie nichts Unschlüssiges erkennen. Die Grünen beantragten aber, dass die Wirkung der neuen Obergrenzen zeitnah geprüft und das Handeln der Verwaltung bei Härtefällen ausgewertet wird. Dieser Ergänzung stimmte der Kreistag einmütig zu.

Mietobergrenze

Kosten der Unterkunft: Der Landkreis bzw. das Jobcenter zahlen nach Sozialgesetzbuch II die „Kosten der Unterkunft“ an sogenannte Bedarfsgemeinschaften (in der Regel Hartz IV-Empfänger) aus . Die Behörde bestimmt eine höchstzulässige Miete, die Mietobergrenze. Sie ist regional unterschiedlich. Beispielsweise 428 Euro für eine Person in Esslingen und 349 Euro in Lenningen.

Obergrenze: Liegt die Miete über dieser Obergrenze, kann die Behörde die Hilfeempfänger auffordern, sich eine günstigere Wohnung zu suchen. Ansonsten müssen diese den Differenzbetrag selbst aufbringen, also von ihrem sowieso begrenzten Budget abknapsen. Als angemessene Wohnungsgröße gelten für eine Person 45 Quadratmeter, für zwei Personen 45 bis 60 Quadratmeter, für vier Personen 75 bis 90 Quadratmeter.

Weisen die Hilfeempfänger nach, dass sie auf dem Wohnungsmarkt kein günstigeres Angebot finden, zahlt die Behörde den höheren Betrag. Laut dem Gutachten des Büros Rödl leben derzeit 1900 Bedarfsgemeinschaften in zu teuren Wohnungen. Insgesamt leben im Kreis Esslingen etwa 11 000 Bedarfsgemeinschaften.

Wohngeld: Das Wohngeld ist bei der aktuellen Debatte kein Thema. Dabei handelt es sich um eine Sozialleistung nach dem Wohngeldgesetz für Bürger, die aufgrund ihres geringen Einkommens einen Zuschuss benötigen.