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Beim Flächenverbrauch sind die Grenzen längst erreicht, meint Siegfried Nägele. Auf dem Kreisbauerntag in Dettingen forderte der Vorsitzende, die Landesbauordnung anzupassen.

DettingenWer für den Kreisbauerntag die Dettinger Schlossberghalle betrat, musste am großen Spiegel vorbei. Der Vorsitzende des Kreisbauernverbands, Siegfried Nägele, erklärte später den Grund: Wer beim Thema Artenschutz auf die Bauern zeige, der solle auch auf sich selbst schauen, was sein eigener Beitrag dazu sei.

Den Redeauftakt machte Nägele: „Die Erde braucht die Menschen nicht, aber die Menschen brauchen die Erde“, betonte er. „Und wir meinen in dem Fall konkret Erde und Boden.“ Was beschäftigt die Bauern? „Die Afrikanische Schweinepest, die Straßenverkehrsregelungen für landwirtschaftliche Fahrzeuge, das Jakobs-Kreuzkraut, Ferkelkastration, Blauzungenkrankheit, die Hofübergabe, die Pauschalierung in der Umsatzsteuer, der Wolf und die Weidetierhaltung. Da könnten wir uns eine ganze Woche zusammensetzen.“

Und das Wetter? Das war 2018 zu trocken. Getreide, Mais und Kartoffeln waren etwas unterdurchschnittlich, Gras recht knapp, Obst gab es dafür im Überfluss. Die Aussage des Lebensmitteleinzelhandels, es gebe immer etwas, er könne auf der ganzen Welt kaufen, ist für Nägele arrogant: „Wenn es auch bei uns nichts mehr gäbe, brächte das die Bevölkerung zur Besinnung? Wir führen sowieso mehr Lebensmittel ein als aus. Was zusätzlich irgendwo anders produziert wird, geht zu Lasten des Regenwaldes.“ Er kritisierte die Überarbeitung der Düngeverordnung: „Sie war gerade mal ein Jahr in Kraft. Wie sollen wir uns auf etwas einstellen, das so eine Halbwertszeit hat?“ Dann solle die Massentierhaltung am Feinstaub schuld sein – kurz darauf stelle sich heraus, dass die Modellrechnungen und Annahmen völlig falsch seien.

Wie entwickle sich die Gesellschaft? Der hohe Energieverbrauch bedeute Erwärmung. „1,5 Grad mehr lassen die Tanne in Baden-Württemberg fast verschwinden. Immer mehr Fahrkilometer, immer mehr Flugverkehr, und hat schon irgendjemand untersucht, wie sich Insekten in dem Wirrwarr von Funkwellen orientieren oder eben nicht? Uns geht es darum, dass jedem selbst klar wird, wie er sich verhält, statt immer nur auf die Landwirtschaft zu schauen. Gegen das Bienensterben unterschreiben, aber das Kind mit dem Cayenne oder Q7 von der Schule abholen.“

Beim Flächenverbrauch sei es nicht mehr fünf vor zwölf. „Es geht eher Richtung halb eins. Boden speichert Wasser, versiegelte Flächen erhitzen lokal enorm und führen zu Starkregen, auf einem Hektar sind im Ackerboden fünf Tonnen Kleinstlebewesen zu finden.“ Landesbauordnung und Raumplanung müssten angepasst werden. „Das gibt doch die coolsten Wohnungen auf bisherigen Flachdächern von Fabriken, mit Grün und allem.“ Daimler solle doch in Mettingen oder Zell „seine alten Buden abreißen“ und durch neue, isolierte Wohnungen über der Produktion ersetzen.

Wie Flächensparen geht, zeigte der Dettinger Bürgermeister Rainer Haußmann. Die Stadt habe 500 Einwohner gewonnen, alle in Baulücken. Die Erste Landesbeamtin Marion Leuze-Mohr kritisierte: „Wir importieren 13 Millionen Hektar Fläche, während 820 Millionen Menschen nicht genügend zu essen haben.“ Dann nahmen die drei Landtagsabgeordneten Andreas Schwarz (Grüne), Andreas Kenner (SPD) und Karl Zimmermann (CDU) Stellung zum Thema Flächenverbrauch. „Innen geht vor außen, Höhe vor Fläche“, betonte Schwarz. Durch Aufstockung bestehender Gebäude könnten in Baden-Württemberg 185 000 Wohnungen entstehen. Ab 2020 könnten die Kommunen eine Grundsteuer C auf unbebaute, baureife Grundstücke erheben. Auch Kenner warb für das kreative Bauen. „Ich schaue mir an, wie der Planer wohnt. Der hat ein Grundstück mit zehn Ar und sagt, so baue man heute nicht mehr.“ Zimmermann warb dafür, Ersterwerber zum Eigenbedarf von der Grunderwerbssteuer zu befreien. Das ermutige Ältere, sich etwas Kleineres zu kaufen, so werde Wohnraum frei.

Jochen Wagner, Studienleiter an der Evangelischen Akademie in Tutzing, gab als Gastredner einen launigen Einblick in die menschlichen Widersprüche: das Kaugummipapier stolz zur Wertstofftonne tragen, aber mal kurz auf Malle fliegen? Er sprach als Vater aus der Beobachtung seiner eigenen Kinder: „Sie wissen nicht, wo die Kartoffeln für McDonald’s herkommen. Im Laden stehen die künstlichen Füllhörner, alles sprudelt endlos.“ Alle müssten heute Topform haben, er ermuntere zur Gelassenheit: „Der Dreier ist der Einser des kleinen Mannes, der Traumpass ist die Ausnahme. Wer nur Highlights will, versündigt sich am Leben.“ Wagner erklärte auch, warum er den Tatort nicht mag, er ende ihm zu indifferent. „Ich habe 60 Bände Karl May gelesen, das hat mein Gerechtigkeitsempfinden geprägt. Ich will, dass die Drecksau bestraft wird.“

Auf die Ehrungen, unter anderem für Teilnehmer an der „Gläsernen Produktion“, folgte das Schlusswort des Vorsitzenden Tobias Briem, sehr kurz und knackig: „Für das deutsche Konsumniveau auf der ganzen Welt wären drei Erden nötig. Im Kreis Esslingen werden jedes Jahr 100 Hektar zubetoniert. So kann es nicht weitergehen, wir sind beim Flächenverbrauch einfallslos und unkreativ.“